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Ein fliehendes Pferd

Ein fliehendes Pferd

Titel: Ein fliehendes Pferd
Autoren: Martin Walser , Helmuth Kiesel
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umgezogen waren, sagte er: Was hältst du davon, wenn wir jetzt packen? Oder so: Ich packe, du gehst zu Frau Zürn, bezahlst für vier Wochen, läßt dir auf keinen Fall einen Preisnachlaß einräumen, sagst, besondere Umstände, wir würden uns, falls wir nächstes Jahr kommen könnten, rechtzeitig undsoweiter. Bitte, bitte, Sabine. Im Zug erzähl ich dir alles. Bitte. Sabine setzte sich und sagte, das gehe ihr zu schnell. Er sagte in einem völlig abweisenden, in einem nichts als erpresserischen, ganz glaubhaften Ton: Dann muß ich allein fahren. So, sagte Sabine. Ich möchte doch auch noch eine Rede halten, sagte Sabine. Wann halte denn ich meine Rede, bitte? Glaubst du vielleicht, ich hätte keine Rede zu halten, Mensch.
Ach du. Einziger Mensch. Sabine. Sagte er.
Hör auf, sagte sie.
Richtig, sagte er, im Zug, Sabine, im Zug.
    Er fing an zu packen. Allmählich machte sie mit. Als sie zu Zürns ging, rief er ihr nach: Ein Taxi, in einer Viertelstunde. Die zierliche Frau Zürn und zwei ihrer großen Töchter standen und winkten, als Helmut, Sabine und Otto abfuhren. Dr. Zürn war, zum Glück, im Allgäu. Am Fahrkartenschalter sagte Helmut: Zweieinhalbmal Meran einfach. Meran, sagte Sabine und schüttelte den Kopf. Wieso denn Meran? Halt, Moment, sagte Helmut zu dem Beamten, meine Frau ist nicht einverstanden. Wohin denn dann, fragte Helmut. Nach … nach Montpellier, sagte Sabine erschöpft. Zweieinhalbmal Montpellier, einfach, erster, sagte Helmut. Hoffentlich ist es dir da nicht zu heiß, sagte Helmut. Wenn die Mauern so dick sind, sagte Sabine und grinste ein bißchen.
    Helmut küßte Sabine vorsichtig auf die Stirn. Otto gab einen Laut, als habe er zu leiden. Sabine sah Helmut so an, daß er sagen mußte: Du siehst durch mich hindurch wie durch ein leeres Marmeladeglas. Wart’ noch. Im Zug. Sabine sagte: Heute nacht im Traum hätte ich wissen müssen, wie eine Zahl heißt, die durch keine andere mehr teilbar ist und habe es nicht gewußt. Alle anderen haben es gewußt. Du auch. Aber auch du hast mir nicht geholfen. Er wühlte ein bißchen wiedergutmacherisch in ihren Haaren herum. Der Zug fuhr ein. Helmut sagte zu der farbigen Lokomotive, die ihm vorkam wie ein Ordensgeistlicher: Qui tollis peccata mundi.
    Als sie ein Abteil gefunden hatten, in dem sie allein waren, sagte er: Sabine, jetzt können wir bis Basel sitzen bleiben.
    Sabine sagte: Ich habe doch Angst vor der Hitze. Was tun wir, wenn es da drunten zu heiß ist. Ach, sagte Helmut leichthin, Schatten zusammennähen.
    Eine Weile saßen sie einander stumm gegenüber wie Fremde. Sie in Fahrtrichtung. Er mit dem Rücken zur Fahrtrichtung.
Was war jetzt eigentlich gestern, sagte sie.
Ein Schnellzug hobelte sich vorbei.
    Das ist eine längere Geschichte, sagte er und schaute hinaus auf den Rhein. Der Rhein, sagte sie. Sie streckte sich ein wenig. Sie saß in der Abendsonne. Er im Schatten. Er hob den Ton an wie noch nie und sagte: Ach du. Einziger Mensch. Sabine. Er sah, daß sie das gern hörte. Das befähigte ihn zu einer weiteren, für sein Gefühl geradezu sprunghaften Tonanhebung.
    Du Angeschienene, du, sagte er. Mit deiner Stärke, von der du nichts weißt. Aus den Jahren herausschauen wie aus Rosen, das sieht dir gleich.
Schön, sagte sie. Und jetzt?
Jetzt fange ich an, sagte er. Es tut mir leid, sagte er, aber es kann sein, ich erzähle dir alles von diesem Helmut, dieser Sabine.
Nur zu, sagte sie, ich glaube nicht, daß ich dir alles glaube.
    Das wäre die Lösung, sagte er. Also bitte, sagte er. Es war so: Plötzlich drängte Sabine aus dem Strom der Promenierenden hinaus und ging auf ein Tischchen zu, an dem noch niemand saß.

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