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Ein Fall zu viel

Ein Fall zu viel

Titel: Ein Fall zu viel
Autoren: Irene Scharenberg
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und Restaurants an dem künstlichen Kanal existierte, hatten die Geschäftsleute jedoch ganz schön Konkurrenz bekommen, wusste Barnowski von einem Onkel, der ganz in der Nähe wohnte. Einige alteingesessene Geschäfte, die er noch von Besuchen kannte, hatten bereits schließen müssen, stellte er fest. Ob das ehemalige Zentrum von Oberhausen noch weiter ausbluten würde? Nach dem dritten Klingeln ließ Kerstin Mackenbrock Barnowski herein, ohne sich den Dienstausweis zeigen zu lassen. Vielleicht sollte er sich nicht darüber wundern, schließlich hatte er diesen Termin mit ihr telefonisch ausgemacht.
    Die Sprechstundenhilfe war etwa Mitte dreißig und besaß streichholzkurzes, blondiertes Haar. Ihre grünlichen Augen musterten ihn durch eine modische Brille. Falls er ihren Gesichtsausdruck richtig deutete, gefiel ihr, was sie von ihm zu sehen bekam. Für einen kurzen Moment verspürte er einen gewissen Stolz, auch wenn er genau wusste, dass er für sein vorteilhaft geschnittenes Gesicht nur wenig konnte. Sollte sie erst einmal seinen gut trainierten Körper sehen, der unter seiner weiten Jacke verborgen war.
    »Ich kann das mit Sandra immer noch nicht glauben«, erklärte Kerstin Mackenbrock, während sie ihn in ein gemütliches Wohnzimmer mit hoher Decke führte. Vor den zwei Fenstern hingen keine Gardinen, dafür standen mehrere große Topfblumen auf der Fensterbank.
    »Darf ich Ihnen etwas anbieten?«, fragte sie.
    »Nein danke. Ich denke, es dauert nicht allzu lange.
    »Trotzdem dürfen Sie Platz nehmen.«
    »Klar.« Barnowski grinste. »Ich komme gleich zu meiner ersten Frage: Wie gut kannten Sie Sandra Sölle?«
    Kerstin Mackenbrock wirkte sehr nachdenklich. »Wie gut man eine Arbeitskollegin halt so kennt. Wir waren nicht befreundet, kamen jedoch gut miteinander aus. Vielleicht wundern Sie sich, dass ich jetzt nicht Rotz und Wasser heule, aber für mich ist das im Moment noch nicht greifbar, wissen Sie. Eigentlich ergeht mir das immer so. Der Schmerz setzt erst verzögert ein, so wie die Wirkung bei einer Tablette. Nur dass dies bei mir Tage dauern kann.«
    »Ich bin auch nicht hier, um Ihre Trauer zu kontrollieren«, sagte Barnowski schnell, als sie kurz innehielt. Man wusste nie, wie das ausufern konnte. Nachher fing sie noch mit den Trauerriten fremder Völker an. Sie hatte frei und Muße, aber ihm fehlte dafür nun wirklich die Zeit.
    »Hat Ihnen Sandra Sölle denn mal etwas Privates anvertraut? Oder ist sie Ihnen in den letzten Wochen irgendwie verändert erschienen?«
    »Nee. Die war so wie immer. In der Praxis ist ja kaum Zeit für persönliche Gespräche. Außerhalb der Praxis haben wir uns kaum gesehen. Höchstens zwei- bis dreimal im Jahr sind wir nach der Sprechstunde in der Stadt etwas trinken gegangen. Und bei den offiziellen Sachen, also wenn der Gerstenschneider uns alle zum Essen eingeladen hat, war der ja immer dabei.«
    »Wo Sie gerade Ihren Chef ansprechen … war Frau Sölle vielleicht in den verliebt?«
    Kerstin Mackenbrock wollte lachen, aber angesichts der Situation schien ihr das im Halse stecken zu bleiben. »Die Sandra? Nee. Niemals. Der war doch viel zu alt für die.«
    »Bei manchen Menschen ist das allerdings nicht unbedingt ein Hinderungsgrund«, wandte Barnowski ein.
    »Trotzdem, das hätten wir doch mitgekriegt. Da können Sie auch gern die Simone fragen. Mit der treffe ich mich übrigens öfter privat. Falls die so was bemerkt hätte, hätte die mit Sicherheit mit mir darüber geredet.«
    »Zu Frau Vollmer haben Sie also ein besseres Verhältnis, als Sie zu Sandra Sölle hatten.«
    »So kann man das eigentlich nicht sagen. Die Simone kenne ich noch von früher. Wir sind zusammen zur Berufsschule gegangen. Die hat mich quasi in die Praxis gebracht.«
    »Aha!«
    »Na ja, in gewisser Weise war die Sandra auch außen vor. Sie war für uns so eine Art Vorgesetzte. Dass sie die erste Kraft ist, hat uns der Gerstenschneider klargemacht und immer wieder merken lassen. Die haben öfter die Köpfe zusammengesteckt. Irgendwie miteinander getuschelt. Die Simone hat sich auch darüber gewundert. Aber wie gesagt, wir waren uns einig, dass kein Techtelmechtel dahintersteckt.«
    »Sind da nicht Neidgefühle aufgekommen?«
    »Nee, wirklich nicht«, erwiderte Kerstin Mackenbrock und sah im dabei fest in die Augen. »Erstens war die Sandra wirklich super nett, und wir haben gern mit ihr gearbeitet. Zweitens war sie die einzige Vollzeitkraft mit etlichen Überstunden. Also, mit der hätte keiner
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