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Ein fabelhafter Lügner: Roman (German Edition)

Ein fabelhafter Lügner: Roman (German Edition)

Titel: Ein fabelhafter Lügner: Roman (German Edition)
Autoren: Susann Pásztor
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den dunklen Locken, der uns mit einem Tablett entgegenkam, auf dem drei Kaffeebecher standen. Ich sah Hannahs Blick. Er galt nicht dem Kaffee. Also doch. Ich hätte mich wahrscheinlich mehr dafür interessiert, wenn mich die Sache mit der Totenruhe nicht so beunruhigt hätte.
    Erst als wir auf der Straße standen, wurde uns klar, dass unser eigenes Auto noch oben in Buchenwald parkte und wir überdies keine Ahnung hatten, wo wir uns befanden und wie man von hier aus zu unserem Hotel kam. An die Möglichkeit, in dieser Stadt sonntagmorgens um fünf Uhr früh ein Taxi zu erwischen, wollte keiner von uns so recht glauben, also ging Hannah noch einmal ins Gebäude zurück und kam schon nach wenigen Minuten mit einer präzisen Wegbeschreibung wieder.
    »Los, Kinder, angeblich sind es nur zehn Minuten Fußmarsch«, sagte sie. »Ich glaube, wenn es nicht gegen seine Dienstvorschriften gewesen wäre, hätte mich der junge Kollege sehr gern nach Hause begleitet.«
    »Du bist ja schon fast wieder die Alte«, bemerkte meine Mutter.
    »Störung der Totenruhe, ich kann es gar nicht glauben«, sagte Gabor und zündete sich im Laufen eine Zigarette an. »Von allen Delikten, die ich jemals in meiner Phantasie hätte begehen können, wäre das so ungefähr das letzte gewesen.«
    »Keiner von uns hat die Totenruhe gestört«, sagte meine Mutter mit großer Bestimmtheit, als sie mein Gesicht sah. Sie blieb vor mir stehen und legte mir die Hände auf die Schultern. »Lily, wir haben vielleicht die Hausordnung missachtet, aber die Toten haben wir auf jeden Fall respektiert. Ich könnte mir sogar vorstellen, dass uns die Gedenkstättenleitung diese Aktion genehmigt hätte.«
    »Wenn wir vorher gefragt hätten«, fügte Hannah hinzu.
    »Nein, mach dir bloß keine Sorgen, Lily«, schaltete sich jetzt auch Gabor ein. »Das war eine ganz wunderbare Idee von dir. Im schlimmsten Fall kriegen wir eine Geldstrafe, und das war die Sache allemal wert.«
    Sie waren irgendwie rührend um mich besorgt, die drei. Wenn ich es recht bedachte, war im Buddhismus sowieso keine Ruhe für die Toten vorgesehen: Entweder ging es gleich weiter in die nächste Daseinsrunde oder ab ins Nirwana, und im Zustand der Erleuchtung störten einen die Himmelslaternen wohl kaum. Eine Weile gingen wir schweigend nebeneinanderher. Hannah legte ihren Arm um mich.
    »Aber das mit den Zehntausend-Watt-Lampen war schon toll«, sagte Gabor anerkennend.
    »Toll?«, wiederholte Hannah. »Mir wäre fast das Herz stehen geblieben.«
    »Alle Jungs finden so was toll, Hannah«, sagte meine Mutter. »Wenn du Edgar davon erzählst, darfst du diesen Teil auf keinen Fall weglassen.«
    »Joschi hätte es auch gefallen«, sagte ich.
    Hannah lachte. »Ich würde zu gern wissen, was er aus dieser Geschichte gemacht hätte.«
    »Kein Problem«, sagte meine Mutter. »Angefangen hätte es schon mal damit, dass die Laternen ungefähr drei Meter lang waren und eine Woche in der Luft geblieben sind.«
    »Eine Woche?«, meinte Gabor. »Dann hätte es Alfred bis zum Yachthafen nach Rostock geschafft und dort irgendeinen Luxussegler versenkt.«
    »Wir wären in Handschellen und mit Blaulicht und Sirene abtransportiert worden«, sagte ich und tat so, als wäre mir das eben erst eingefallen.
    »Wir hätten alle zusammen die Nacht in einer Arrestzelle verbracht«, rief Hannah begeistert. »Wir hätten alte zionistische Lieder gesungen! Und am nächsten Morgen hätte Gabor Hora tanzen können.«
    »Hannah«, sagte meine Mutter. »Joschi hätte sich niemals eine Geschichte ausgedacht, in der vorkommt, dass ich mich in einer Arrestzelle erhänge.«
    Wir passten immer besser zusammen, fand ich. Ich sah mich um. Die Straße, die wir jetzt entlanggingen, kam mir vage bekannt vor. Irgendwo hier in der Nähe mussten auch der Nasenflötenladen und der Spielplatz mit der Goethe-Kastanie sein. Ein Mann mit Fahrrad und einem Anhänger kam uns entgegen, in dem Sonntagszeitungen steckten.
    »Jüdischer Häftling«, sagte meine Mutter plötzlich. »Du hast Joschi vorhin als jüdischen Häftling bezeichnet, Gabor. Wolltest du dich damit bei den Bullen einschleimen, oder hast du deine Meinung jetzt doch geändert?«
    »Das war bestimmt reiner Zufall, dass er das gesagt hat«, meinte Hannah großzügig.
    »Lasst es gut sein, Mädels«, sagte Gabor. »Um diese Uhrzeit kommen einem oft seltsame Dinge über die Lippen.«
    Es war genau halb sechs, als wir unser Hotel erreichten. Unser Abschied im Foyer war trotz der
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