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Ein fabelhafter Lügner: Roman (German Edition)

Ein fabelhafter Lügner: Roman (German Edition)

Titel: Ein fabelhafter Lügner: Roman (German Edition)
Autoren: Susann Pásztor
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Flugverhalten. Er kippte einfach vornüber und verglühte auf dem Weg nach unten. Wir sahen ihn hinter den Baumwipfeln verschwinden. Und dann war es einen Moment ganz still.
    »Kommt jetzt endlich«, sagte meine Mutter. »Liegen hier noch irgendwelche Sachen von uns rum?«
    »Zehn Laternen, über das gesamte Gelände verteilt«, sagte Hannah.
    »Wir überweisen der Gedenkstätte was fürs Aufräumen«, entschied meine Mutter und wandte sich entschlossen zu gehen.
    Ich drehte mich noch einmal um, als wir den Platz verließen, an dem unser Geburtstagsritual für Joschi stattgefunden hatte. Ich bedankte mich bei den Göttern und den guten Geistern für ihren Beistand. Mochten alle Wesen glücklich sein, ob tot oder lebendig: Ich war es jedenfalls. Ich schaute auf die Bäume ringsum, ich schaute in den dunklen Nachthimmel, ich schaute in Richtung Torgebäude. Ich verabschiedete mich.
    Und dann wurde es Tag.
    Hinter der Baumreihe flammten mehrere gleißende Lichter auf und erleuchteten den Appellplatz wie ein Fußballstadion. Selbst hier in unserem kleinen Waldstück war es noch hell genug, um wie ein geblendetes Reh zu erstarren. Das Licht war einschüchternd und gleichzeitig grandios. Ich hätte eigentlich Angst haben müssen, aber ich war einfach nur überwältigt, und ich konnte förmlich spüren, wie mein Großvater vor Begeisterung in die Luft sprang. Eine Himmelslaterne, schön und gut, aber hier wurde an seinem hundertsten Geburtstag ganz Buchenwald illuminiert, und das war sicher noch mehr nach seinem Geschmack.
    Ich hörte meine Mutter neben mir »Happy Birthday, Joschi« sagen und wusste, sie hatte genau den gleichen Gedanken gehabt wie ich. Gabor stieß einen Laut aus, der wie Joschis serbischer Fluch von vorhin klang, und von Hannah kam gar nichts. Niemand von uns bewegte sich. Wir standen da und harrten der Dinge, die auf uns zukommen würden.
    Alfred war den Wachleuten praktisch auf die Motorhaube gefallen, erfuhren wir später. Alfred hatte uns verraten. Stimmt nicht, sagt meine Mutter, die hatten uns sowieso schon längst entdeckt.

16
    WIEDER EINMAL GING ES DEN ETTERSBERG RUNTER, und diesmal saß tatsächlich meine Mutter neben mir auf dem Rücksitz. Obwohl es draußen immer noch stockfinster war, bildete ich mir ein, die Strecke inzwischen gut zu kennen: Dort, hinter der Stelle, wo die Bäume sich ein wenig lichteten, müsste gleich eine Linkskurve kommen. Noch ein bisschen weiter geradeaus dann die Abzweigung zum Glockenturm, den ich das ganze Wochenende noch nicht zu sehen bekommen hatte. Und nur ein paar Kurven später würde der Obelisk treu und brav und genauso hässlich wie vorher am Ende der Straße auf uns warten.
    Ich drehte mich um und sah aus dem Rückfenster. Der VW-Bus hinter uns behielt immer den gleichen Abstand bei. Ich fragte mich, ob Hannah sich wohl trauen würde, mit einem der Polizeibeamten zu flirten, oder ob sie es nicht vielleicht längst schon tat. Ich stellte mir Gabor vor, wie er sich vor lauter Verlegenheit auf seinem Platz wand, während Hannah dem jungen schwarzgelockten Polizisten drüben im Bus von ihrem Survival-Training in der Negev-Wüste erzählte, um ihn auf eventuelle biblische Vorfahren abzuklopfen.
    »Ich hab vor Jahren schon mal in so einem Einsatzwagen gesessen«, sagte meine Mutter mit halblauter Stimme zu mir. »Er war sogar noch größer als der hinter uns, glaube ich.«
    »Was hast du da drin gemacht?«
    »Festgenommen nach einer Demo gegen Neonazis. Sie haben uns aber gleich wieder laufen lassen.«
    Die Dienstmütze des Polizeibeamten am Steuer saß ein wenig schief. Weder er noch sein Kollege sagten während der Fahrt ein einziges Wort. Eine Stimme aus dem Funkgerät forderte einen Streifenwagen für den Einsatz bei einer Privatfeier. Ich konnte nicht verstehen, ob es um eine Massenschlägerei ging oder ob sich nur ein Nachbar wegen der Musik bei der Polizei beschwert hatte.
    »Sie haben uns anfangs auch für Nazis gehalten«, sagte ich. Auf diese Idee, so naheliegend sie mir jetzt auch erschien, wäre ich nicht von allein gekommen. Erst als ich die angespannten Gesichter der Wachleute und der Polizeibeamten im grellen Scheinwerferlicht sah, hatte ich kapiert, dass sie uns natürlich für rechtsextreme Vandalen halten mussten, die auf das Gelände eingedrungen waren und dort irgendeinen Schwachsinn trieben. Zum Glück machten wir vier offenbar einen dermaßen grotesken Eindruck, dass nach kürzester Zeit niemand mehr glaubte, dass wir über Waffen
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