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Ein fabelhafter Lügner: Roman (German Edition)

Ein fabelhafter Lügner: Roman (German Edition)

Titel: Ein fabelhafter Lügner: Roman (German Edition)
Autoren: Susann Pásztor
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Brückenkonstruktionen miteinander verbunden waren.
    »Die Kläranlage«, sagte Gabor. »Jetzt ist es nicht mehr weit. Wir müssen nach rechts.«
    »Hier ist aber nirgendwo ein Weg«, sagte meine Mutter.
    »Wir gehen erst mal am Zaun entlang und dann noch ein bisschen durchs Unterholz«, erklärte Gabor.
    »Na wunderbar«, sagte Hannah. »Die Wirkung vom Wein lässt übrigens nach. Ich merke förmlich, wie ich immer feiger werde.«
    »Es ist sowieso besser, wenn du wieder etwas nüchtern bist«, sagte meine Mutter. »Du hast als Einzige von uns die Gebrauchsanweisung für die Laternen gelesen.«
    Gabor wandte sich nach rechts, und wir folgten ihm. Obwohl ich mir große Mühe gab, konnte ich nicht verhindern, dass Edgars Strauß im Dickicht ein paar Lilienblüten verlor. Irgendwo in einer der Broschüren hatte ich gelesen, dass das kleine Lager nach dem Krieg lange Zeit in Vergessenheit geraten war. Als sie es wieder zugänglich machten, hatte sich der Wald sein Gebiet längst wieder zurückerobert. Die Bäume hier mussten demnach alle so alt wie Gabor sein. Ich sagte es ihm. Er antwortete nicht, aber ich hatte das Gefühl, dass er lächelte.
    Wenige Minuten später entschied Hannah, dass wir am Ziel waren. Wir hatten eine kleine Lichtung erreicht, und Gabor schätzte, dass wir uns keine hundert Meter entfernt von der Gedenkstätte des kleinen Lagers befanden und damit auch schon dem offenen Gelände mit den Barackenfundamenten recht nahe waren. Meine Mutter verstieß augenblicklich gegen ihre eigenen Regeln und pirschte davon, um Gabors Angaben zu überprüfen. Bis zu ihrer Rückkehr verstrich genauso viel Zeit, wie Hannah und ich brauchten, um die zehn Laternen vor uns auf dem Boden auszubreiten und vorsorglich die Sektflasche zu öffnen. Gabor saß auf einem Baumstumpf und rauchte. Ich war beeindruckt, wie geräuschlos meine Mutter sich in der Dunkelheit bewegen konnte.
    »Alles genauso, wie Gabor sagte«, flüsterte sie. »Bis zum eigentlichen Lager ist es nicht mehr weit, aber man kann uns von dort aus nicht sehen, glaube ich. Beim Kammergebäude ist ein bisschen Licht, beim Torgebäude und den beiden Wachttürmen auch, aber alles in allem ist es ziemlich dunkel da draußen.«
    »Warum flüsterst du auf einmal?«, fragte Hannah.
    »Weil ich deine Stimme noch ziemlich weit hören konnte«, sagte meine Mutter, jetzt wieder mit normaler Lautstärke. »Los jetzt. Welche von den Laternen ist für Joschi?«
    Dass sie in der Ferne hinter dem Torgebäude das Fahrzeug der Wachleute gesehen hatte, verriet sie mir erst am folgenden Tag. Wir waren doch schon so weit gekommen. Wozu also unnötig Panik verbreiten? Hauptsache, Joschi würde endlich fliegen können.

15
    GABOR HATTE SEINE ZIGARETTE AUSGEMACHT und sich neben uns gestellt. Zu unseren Füßen lagen die zehn zusammengefalteten Laternen. Sie schimmerten in der Dunkelheit.
    »Also, welche davon ist für Joschi?«, wiederholte meine Mutter. »Und was soll mit den neun anderen passieren?«
    »Wir haben genügend Tote«, sagte Hannah. »Ich hab es gerade ausgerechnet. Ihr werdet es nicht glauben, aber es sind genau zehn.«
    Wir schwiegen. Jeder von uns zählte in Gedanken nach.
    »Steht Alfred etwa auch auf deiner Liste?« Gabor klang überrascht.
    »Na klar«, sagte Hannah. »Oder willst du behaupten, er hätte keine Rolle in Joschis Leben gespielt?«
    »Karl hat Joschi gar nicht gekannt, aber ich finde es gut, dass er dabei ist«, sagte ich.
    »Karl passt hundertprozentig«, erwiderte meine Mutter. »Er war mit Lotte sehr glücklich und hat Joschis Job als Großvater übernommen.«
    »Gut, dann hätten wir das schon mal geklärt«, sagte Hannah. »Eine für Joschi, fünf für seine Frauen, zwei für Tamás und Véra, zwei für Karl und Alfred. In der Gebrauchsanleitung stand, dass man die Laternen zu zweit starten lässt. Einer hält oben fest, der andere zündet das Feuer an. Danach muss man noch ein bisschen warten, bis die Luft sich genügend erwärmt hat und nach oben treibt, und dann loslassen.«
    »Wie lange bleiben die Dinger eigentlich in der Luft?«, fragte Gabor.
    »Ungefähr zehn, fünfzehn Minuten. Sie können bis zu vierhundert Meter aufsteigen. Irgendwann geht ihnen dann das Feuer aus, und sie sinken wie kleine Fallschirme zur Erde zurück. Behaupten sie jedenfalls in der Anleitung.«
    Ich hockte mich auf den Boden und zog vorsichtig eine der Laternen auseinander. Sie hatte einen Durchmesser von etwa fünfzig Zentimetern und war knapp einen Meter lang,
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