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Ein fabelhafter Lügner: Roman (German Edition)

Ein fabelhafter Lügner: Roman (German Edition)

Titel: Ein fabelhafter Lügner: Roman (German Edition)
Autoren: Susann Pásztor
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minder erschöpft, aber sehr zufrieden. Ihr leuchtend roter Lippenstift half über vieles hinweg. Der Einfachheit halber und weil mir ohnehin danach war, umarmte ich gleich beide zur Begrüßung.
    »Hallo, Lily«, sagte Gabor. »Ein bisschen geschlafen?«
    »Ja, danke«, sagte ich und setzte mich neben ihn. Gabor hatte seinen Frühstücksteller in vier exakte Quadranten unterteilt und auf jedem eine Lebensmittelprobe vom Büfett abgelegt. Es sah aus wie eine Versuchsanordnung. Mir fiel der Bär wieder ein, der seit heute ein original ungarischer Schafhütebär war. Ich deutete auf meinen Rucksack. »Hättest du eigentlich was dagegen, wenn ich den an meinen kleinen Bruder weiterverschenke?«
    »Was für ein kleiner –«, begann Gabor, unterbrach sich dann und beließ es dabei, meine Mutter fragend anzusehen. Das war nicht gerade ein idealer Auftakt für ein entspanntes Frühstück am Morgen danach. Ich war davon ausgegangen, dass Gabor von Paul wusste, was, wie mir im gleichen Moment klar wurde, ziemlicher Blödsinn war. Als hätte ich an diesem Wochenende nicht eindrucksvoll demonstriert bekommen, dass Informationen sich in einer Familie eben nicht über Osmose verbreiteten.
    Zum Glück wirken auf Hannah Situationen, die anderen Menschen peinlich sind, meistens inspirierend. »Hey, wir könnten eine Checkliste machen«, schlug sie vor und wedelte mit ihrer Serviette. »Jeder schreibt auf ein Blatt Papier, was die anderen Familienmitglieder noch unbedingt über ihn wissen sollten. Einmal im Jahr wird die Liste aktualisiert. Wenn dann einer von uns stirbt, müssen die anderen nicht mehr so viel herumraten.«
    »Wie praktisch«, sagte meine Mutter. »Nach deinem Tod geben wir deine Liste einfach dem Rabbi für seine Ansprache, falls dir bis dahin ein Platz auf dem Jüdischen Friedhof zusteht.« Dann wandte sie sich an Gabor. »Lilys Vater hat im letzten Jahr noch ein Kind bekommen, weißt du.« Sie sagte es zum ersten Mal ohne diese übertriebene Munterkeit, die ich immer so gehasst hatte. Sie sagte es einfach. Fertig.
    »Die Liste wäre natürlich nur für den Privatgebrauch«, protestierte Hannah. »Ihr sollt meine Liebhaber einladen, statt sie den Rabbi aufzählen zu lassen. Außerdem werde ich dich und Gabor sowieso überleben.«
    »Ich mag die Idee«, meinte Gabor. »Zumal ich keine Lily habe, der ich meine ganzen Geschichten erzählen kann.«
    »Meine Mutter benutzt mich als externe Festplatte für ihre Erinnerungen«, sagte ich und versuchte dabei wie ein Opfer auszusehen.
    »Genau«, bestätigte meine Mutter und schenkte uns Kaffee ein. »Du bist meine Datensicherung.«
    Ich lief insgesamt dreimal zum Frühstücksbüfett und schreckte nicht einmal vor dem Rührei aus dem Wärmebehälter zurück, das Gabor als Sicherheitsrisiko eingestuft hatte, so ausgehungert war ich. Wir waren die letzten Gäste im Speiseraum. Eine Angestellte des Hotels hatte damit begonnen, das Geschirr von den Nachbartischen abzuräumen und in die Küche zu tragen. Sie legte frische Tischdecken auf und schob geräuschvoll die Stühle zurecht. Dann sahen wir, wie sie mit einem Staubsauger anrückte und sich nach einer Steckdose umsah.
    »Herrgott noch mal, wir gehen ja gleich«, murrte Hannah.
    Gabor zupfte seinen Zopf in Form und erhob sich von seinem Stuhl. Dann ging er auf die Frau zu. »Entschuldigung«, sagte er. »Wir hatten dieses Wochenende eine Familienfeier bei Ihnen und möchten uns noch in Ruhe verabschieden. Würden Sie uns vielleicht noch zehn Minuten Zeit dafür geben?«
    Meine Mutter und Hannah wechselten anerkennende Blicke.
    »Sicher«, sagte die Frau und ließ den Stecker wieder los. Das Kabel knatterte mit rasender Geschwindigkeit in den Staubsauger zurück und beendete seine Fahrt mit einem satten Klack, als der Stecker ans Gehäuse schlug.
    »Und jetzt nach ihrer Telefonnummer fragen, los, mach«, flüsterte Hannah.
    »Viel zu früh«, flüsterte meine Mutter zurück. »Erst wenn sie zum zweiten Mal hier ankommt.«
    Gabor schenkte der Frau ein übermüdetes Anarchistenlächeln und kehrte zurück an unseren Tisch. »Was ist?«, fragte er, als er unsere Gesichter sah.
    »Ach, egal«, sagte Hannah.
    »Ich will es eigentlich auch gar nicht wissen«, sagte Gabor und setzte sich wieder. Ich musste an Peggy aus der Pizzeria und ihren Wellensittich denken und daran, dass dieser Abend noch keine zwei Tage zurücklag.
    »Also, wenn Marika sich weiterhin weigert, dann werde ich jetzt eine kleine Ansprache halten«, sagte Hannah
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