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Ein EKG fuer Trimmel

Ein EKG fuer Trimmel

Titel: Ein EKG fuer Trimmel
Autoren: Friedhelm Werremeier
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Computer der vierten Generation, wie gesagt – der derzeit jüngsten und modernsten Generation jener Denkmaschinen, die den Markt mehr und mehr erobern.
    In der vollklimatisierten Atmosphäre des Fünfhundert-Quadratmeter-Raums, an dessen Wänden in balkenhoher Schrift COMPUTER-ZENTRUM HAMBURG ABS IL 214 steht, muß sich Trimmel dauernd den Schweiß aus dem Genick wischen. Das Mädchen vor ihm dagegen wirkt taufrisch; dabei muß es von der Schreckensnachricht am Totensonntag eigentlich viel härter getroffen worden sein als ein Polizist.
    »Wie kommen Sie auf Mike?« fragt Trimmel.
    Das Mädchen wendet der Leiche jetzt den Rücken zu. »Sagte Jake immer; ich mein, Jake Tennessy hatte das irgendwann mal eingeführt…«
    »Und wie kam Jake Tennessy auf Mike?«
    »Gott – was weiß ich!«
    Man kann’s irgendwo sogar begreifen, denkt Trimmel. Er hat sich den Computer ganz anders vorgestellt: als eine Art Roboter beispielsweise, dessen schwere, ferngesteuerte, staksige Schritte von farbig glühenden Blinklichtern illuminiert werden. Statt dessen diese Halle mit ihrer Klimaanlage, in der es aussieht wie im Verkaufsraum eines Fernsehgroßhandels; jedes Gerät hat sein eigenes Programm, dazwischen eine Konsole mit Knöpfen.
    »Jake hat sogar mal gesagt, Mike kann lächeln!«
    Dabei hat Mike nicht mal ein Gesicht wie ein Auto oder eine Diesellok, nicht mal einen richtigen Körper wie eine Rakete. Im Mittelpunkt der Computerschrank, und um ihn herum der Plattenspeicher, die Drucker, zahllose Magnetbänder und Bildschirme und Gott weiß was sonst noch alles. Das Mädchen redet und redet, und Trimmel hört gar nicht hin…
    Wer könnte da wohl lächeln? denkt er. Etwa der Thermostat, der beim Ausfall der Klimaanlage alles abschaltet?
    Das Mädchen trägt einen weißen Pulli zu einem dunkelblauen Kostüm und hat die Jacke ausgezogen. Wenngleich der Rock kurz ist wie die Sünde, erinnert ihn der Aufzug an ein Mädchenpensionat von anno dazumal. »Ich glaub, ich hab Ihren Namen vorhin nicht verstanden!« sagt Trimmel.
    »Jill«, sagt sie – sie heißt also auch wie die Sünde. »Johanna, Ida, zweimal Luise. Jill Biegler.«
    »Wie alt?« Als ob er das Protokoll machen müßte.
    »Vierundzwanzig.« Dabei sieht sie aber eher aus wie achtzehn, neunzehn.
    »Was genau ist Ihr Job?«
    »Leiterin des Rechenzentrums.« Tennessy, Leiter der Datenverarbeitung, galt als Direktor des Computerzentrums, erklärt sie, und sie fungierte als Stellvertreterin, wenn er nicht im Hause war.
    »In Ihrem Alter?« staunt Trimmel.
    »Ich habe ein Einskommadreiabitur«, sagt sie pikiert, »außerdem mehr als drei Jahre Praxis als mathematisch-technische Assistentin. Dazu Glück und Genie…«
    Er hat kurzfristig einen flüchtigen und merkwürdigerweise ärgerlichen Verdacht. »Standen Sie zu Herrn Tennessy in näheren Beziehungen?«
    Die Frage kommt in jedem Fall zu früh. Außerdem, wenn sich Trimmel die Leiche so anschaut… Jake Tennessy war mindestens Ende Dreißig. Konservativ gekleidet, schütteres blondes Haar, miserable, derzeit grinsende Zähne und verwaschene blaue Augen – alles in allem schmal wie ein preiswertes Brathuhn. Jake Tennessy war auch zu Lebzeiten kein besonders schöner Mensch. Trotzdem sagt das Mädchen ruhig: »Ich hätt echt nichts dagegen gehabt, aber er wollte nicht. Ich glaube, daß er… daß er ein bißchen schwul war.«
    »Ein bißchen schwul?« Es klingt fast, als ob Trimmel mehr erwartet hätte.
    »Ja – leider«, sagt Jill Biegler ernsthaft. »Als Fachmann hab ich ihn schlicht bewundert. Aber nicht nur das… er war eine Seele von Mensch.«
    »Beides zusammen?« fragt Trimmel überrascht. »Gibt’s denn so was?«
    »In seinem Fall ja!« sagt sie knapp.
    Trimmel geht zum Fenster, ohne es anzufassen. Unten in der Außenalster spiegeln sich die Lichter von Uhlenhorst. »Ob man mal Luft reinlassen kann?«
    »Man kann«, sagt sie, »aber es regnet draußen, und für Mike wär’s ziemlich gefährlich…«
    »Also, lassen Sie’s.«
    In diesem Riesenraum verläuft sich alles, selbst die Spurensicherer, die normalerweise den Tatort für sich beanspruchen. Wenn ein Polizeifotograf blitzt, glaubt man, fern über Bremen wüte ein Gewitter; wenn jemand Scheiße sagt, klingt’s, als habe fern am Rathausmarkt jemand vergebens nach einem Taxi gerufen. Es sind bestimmt fünfzehn Leute im Raum. Trotzdem ist Trimmel mit Jill Biegler ganz allein.
    »Noch mal zu Mike«, sagt Trimmel. »Hat er auch einen offiziellen
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