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Ein EKG fuer Trimmel

Ein EKG fuer Trimmel

Titel: Ein EKG fuer Trimmel
Autoren: Friedhelm Werremeier
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blaugraue Wände, wo sich in Wirklichkeit höchstens ein Haschwölkchen hochkringelt oder eine von diesen Filterzigaretten mit dem Leichengeruch vor sich hin glimmt.
    Nichts für mich, sagt sich Jake. Und schon gar nichts für Mike, der ebenfalls nicht raucht…
    Mike wartet ein paar Kilometer von hier entfernt; er kann auf Grund seines komplizierten Innenlebens nur in einem vollklimatisierten Raum existieren. Insofern geht er auch nie vor die Tür; eine Angewohnheit, um die ihn Jake glühend beneidet. Aber was ist das für eine Freundschaft, denkt Jake im selben Augenblick, in der häßliche Gefühle wie Neid ihren Platz haben? Der Gedanke ist so verschroben wie alles, was Mike betrifft.
    »Zahlen!« ruft Jake laut. Der Service, denkt er, wird in diesem Lokal offenbar klein geschrieben. Immerhin ist er auch deshalb stinkwütend, weil er hierher bestellt und dann einfach wie ein Pennäler versetzt worden ist; er klopft mit einem Zweimarkstück heftig auf den Tisch.
    Der Kellner kommt. »Einsachtzig!« sagt er beleidigt.
    »Stimmt so!« sagte Tennessy und steht auf.
    Nach Ansicht des Kellners ist es gut, daß der Mann abhaut. Er störte nur; es war gegenseitige Abneigung auf den allerersten Blick.
    »Laß dich bloß nicht wieder blicken!« murmelte der Kellner in seinen Schnauzbart.
    Jake Tennessy wird sich nicht wieder blicken lassen.
    Er nimmt seinen leichten Mantel vom Stuhl und geht grußlos hinaus, durch die gläserne Tür. Er erwischt am Gänsemarkt das letzte Taxi, denn es beginnt in dieser Minute zu regnen. Besonders kalt ist es zwar nicht. Aber novembergrau. »Kommt daher das Wort grausam?«
    Der Taxifahrer dreht sich um. »Was haben Sie gesagt?«
    »Ach, nichts. Entschuldigen Sie!«
    »Sind Sie Engländer?«
    »Wieso?«
    »Ach, nichts!« Manchmal wissen sogar Taxifahrer, wann sie die Klappe halten sollen.
    Die Menschen rund um die Staatsoper flüchten vor dem Regen zu Kaffee und Kuchen und Campari. Am Stephansplatz wartet das Taxi ewig lange vor einer roten Ampel; Jake sagt mit amerikanischem – nicht englischem – Akzent laut und überdeutlich: »Scheiße!«
    »Ich kann nicht fliegen!« brummt der Taxifahrer.
    »Ihr Fehler!« sagt Jake Tennessy gehässig.
    Dammtorbahnhof. Mittelweg. Die Fontenay. Und der neue Büroturm; dort wohnt Mike.
    »Früher gab’s hier richtig schöne Häuser!« sagt der Taxifahrer beim Wechseln. Keine Antwort. Ein einzelner Groschen Trinkgeld. Nach dem Kellner innerhalb einer Viertelstunde der zweite Mensch, der froh ist, daß er mit Jake Tennessy nichts mehr zu tun hat.
    Er wird auch nie wieder mit ihm zu tun haben.
    »Tag, Herr Tennessy!« grüßt der Pförtner, der heute Sonntagsdienst hat, als er ihn in die Halle läßt und umständlich die Tür wieder zuschließt. Und dabei schnuppert der Mann wie ein Kaninchen.
    »Ich habe ein Bier getrunken!« sagt Jake.
    Der Pförtner grinst. »Mach ich nachher auch!«
    Als Jake im Expreßlift nach oben schießt, sagt er sich mit inzwischen etwas mehr Nachsicht: der Mensch kann ja gar nicht wissen, wie geruchsempfindlich Mike ist! Und als er im vierzehnten Stock aus dem Fahrstuhl steigt und in der Jackentasche ein zerdrücktes Kaugummi findet, atmet er auf. Gott sei Dank… er schiebt’s in den Mund und kaut heftig, während er durch die lichten Flure geht.
    Als er die dreifach gesicherte Tür zu Mikes Wohnraum aufschließen will, stutzt er. Da ist nichts aufzuschließen; die Tür öffnet sich, als er den Klinkenknauf dreht.
    »Goddamm!« Er tritt ein, stellt sich die möglichen Konsequenzen eines derartigen Leichtsinns vor und sagt dann erst: »Hallo, Mike!« Ebenfalls englisch ausgesprochen, denn mit Mike spricht man Englisch.
    Zunächst keine Antwort.
    »Hallo, Honey…«
    Und da antwortet Mike plötzlich mit merkwürdig hoher, völlig fremder Stimme: »Hallo, Jake!«
    Jake Tennessy erstarrt mitten in der Bewegung, denn so was hat Mike noch nie getan. Noch nie hat Mike seine Stimme verstellt. »Was soll dieser Quatsch?« fragt Tennessy scharf. Er verfällt ins Deutsche, seine zweite Muttersprache.
    »Ich hab schon eine ganze Weile gewartet«, sagt die hohe Stimme, und es klingt höhnisch.
    Und nun weiß er mit einem Male, wer auf welche Weise hier reingekommen ist und sich dann hinter Mike versteckt hat. »O ja… die Tür…«
    »Ja, die Tür!« bestätigt die Stimme hinter Mike. »Die Tür war nicht abgeschlossen!«
    »Aber was soll das alles?« fleht Tennessy. »Ist das vielleicht eine Lösung, wenn… Du weißt doch gar nicht, wie
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