Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Drama in Livland

Ein Drama in Livland

Titel: Ein Drama in Livland
Autoren: Jules Verne
Vom Netzwerk:
eingenommenen Zimmer werfen, wo das Papierstückchen am nächsten Tage gefunden wurde.
    Infolge dieser (zweiten) Hausdurchsuchung wurde Dimitri Nicolef bekanntlich von neuem verhört, doch konnte sich Kerstorf, der ihn im Grunde seiner Seele nicht für schuldig hielt, noch immer zu keinem Verhaftsbefehle entschließen.
    Unruhiger als je vorher, hielt sich Kroff unausgesetzt von dem unterrichtet, was die Verteidiger Nicolefs aussagten, und er wußte auch, daß sie ihn (Kroff, beschuldigten, der Mörder des Bankbeamten zu sein, alles darauf eingerichtet zu haben, daß ein Unschuldiger in den schlimmsten Verdacht geriet, und vorzüglich auch erklärten, nur er werde das Schüreisen in das betreffende Zimmer gebracht und den Rest von dem Kassenscheine auf die Feuerstätte geworfen haben, wo dieses bei der ersten Hausdurchsuchung übersehen worden wäre. Hieraus folgt, daß sich die Aussichten für Kroff um ebensoviel trübten, wie die für Nicolef sich aufklärten. Er erwartete nur noch, daß die Vorlegung der gestohlenen Kassenscheine für Nicolef zu einem letzten Schlage werden sollte, von dem er sich nicht wieder erholen würde; Wladimir Yanof hatte bisher nur noch keine Gelegenheit gehabt, von dem Gelde Gebrauch zu machen.
    Kroff sah ein, daß er schließlich verhaftet werden würde, und eine Verhaftung war für ihn das Verderben. Ja, hätte er gewußt, daß die gestohlenen Scheine am 14. Mai bei den Herren Johausen eingezahlt und dabei als dieselben erkannt würden, die sich in der Mappe Pochs befunden hatten, was ja die endgültige Verurteilung Dimitri Nicolefs zur Folge haben mußte, so würde er vielleicht nicht auf den teuflischen Gedanken verfallen sein, ein zweites Verbrechen zu begehen, um sich von dem ersten reinzuwaschen.
    Das wußte er aber nicht oder erfuhr es vielmehr erst, als er das zweite Verbrechen schon ausgeführt hatte. Noch war er frei gewesen und hatte sich nach Riga begeben können, wohin er vom Untersuchungsrichter häufig gerufen worden war. Dort traf er bei sinkender Nacht ein und lungerte um das Haus Nicolefs mit dem Entschlusse umher, diesen umzubringen und damit den Glauben an einen Selbstmord des Lehrers zu erwecken.
    Der Zufall kam ihm zu Hilfe. Er sah Nicolef sein Haus in größter Aufregung verlassen infolge des ihn fast erdrückenden Auftritts mit Wladimir, der sich in Gegenwart seiner beiden Kinder abgespielt hatte. Kroff schlich dem Lehrer aus der Stadt hinaus nach, und auf der menschenleeren Landstraße stieß er ihn mit demselben Messer ins Herz, mit dem er Poch hingemordet hatte. Die Waffe aber ließ er bei dem Toten liegen.
    Wer konnte jetzt noch zweifeln, daß sich Dimitri Nicolef in seinem Schreck über die Erkennung der gestohlenen Kassenscheine selbst den Tod gegeben habe und daß er wirklich der Mörder aus dem Kabak ‘Zum umgebrochenen Kreuze’ sei?
    Niemand… und dieses neue Verbrechen hatte für seinen Urheber vorläufig die erwarteten Folgen. Die Untersuchung mußte hiermit als abgeschlossen betrachtet werden, und befreit von jedem Verdachte, wenn auch nicht von Gewissensbissen, konnte Kroff in Ruhe die Früchte seiner doppelten Mordtat genießen.

    Die in seinem Besitz befindlichen Kassenscheine, von denen niemand die Nummern kannte, waren die, für welche er die Hundertrubelnoten Pochs untergeschoben hatte, und es war ihm also leicht, sie ohne Gefahr allmählich auszugeben.
    Kroff erfreute sich freilich nicht lange des Ertrags seiner Schandtaten. Von schwerer Lungenerkrankung überfallen und im Gefühl seines nahenden Todes, hatte er sein Geständnis dem Popen diktiert mit dem Verlangen, es später bekannt zu geben, und gleichzeitig lieferte er ihm, nur wenig geschmälert, den Betrag aus, der das rechtmäßige Eigentum Wladimir Yanofs war.
    Die Rehabilitation Dimitri Nicolefs war jetzt vollständig. Doch welches Herzeleid für seinen Sohn und seine Tochter, wie für seine Freunde, daß der Ehrenmann schon längst in seinem schlichten Grabe ruhte!…
    So endete das Aufsehen erregende Drama, von dem in den juristischen Zeitschriften der baltischen Provinzen noch viel und lange die Rede gewesen ist.
    Ende.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher