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Ein Drama in Livland

Ein Drama in Livland

Titel: Ein Drama in Livland
Autoren: Jules Verne
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zugefallene Erbschaft ebensowenig ausantworten, wie die bei den Herren Johausen nach wenigen Wochen fällige Schuld bezahlen konnte… hier war ihm jeder Weg zur Rettung verschlossen. Da wäre er denn auf der Reise mit dem Bankbeamten Poch zusammengetroffen, und der Ertrag des Diebstahls hätte es ihm ermöglicht, die früher veruntreute Summe nach Pernau zu bringen. Die eine Schuld wäre ja damit getilgt gewesen, doch um welchen Preis?… Um den eines zweifachen Verbrechens: eines Mordes und eines Diebstahls!
    Als sich dann alles aufgeklärt hatte, als es Licht geworden war in der bisher so dunkeln Angelegenheit, als die von Wladimir Yanof vorgelegten Kassenscheine an ihren Nummern als dieselben erkannt worden waren, die sich in der Mappe Pochs befunden hatten, da hatte sich Dimitri Nicolef, der wahre Schuldige, der Raubmörder, mit demselben Messer, womit er sein Opfer getötet hatte, durch einen einzigen Stich ins Herz umgebracht.
    Die Aufklärung dieser Angelegenheit gab selbstverständlich dem Schenkwirt Kroff alle Sicherheit wieder. Es war dazu auch die höchste Zeit gewesen: am nächsten Tage schon hätte Kerstorf den Befehl zu seiner Verhaftung ausfertigen wollen. Von der Stunde an, wo sich die Unstatthaftigkeit eines Einschreitens gegen Dimitri Nicolef zu ergeben schien, konnte ein solches nur gegen Kroff in Frage kommen.
     

    Dimitri Nicolef, den Kopf in den Händen, saß an seinem Arbeitstische. (S. 211.)
     
    Nicolef oder Kroff, das Gericht konnte nach keinem andern Schuldigen forschen.
    Bekanntlich war gegen den Schenkwirt auch schon einiger Verdacht aufgestiegen, als der Kriminalbeamte erfuhr, was im Kontor der Gebrüder Johausen vorgefallen war, und er war nicht einer derer, die am wenigsten darüber erstaunten, daß die Schuldlosigkeit Kroffs und die Schuld Nicolefs anzuerkennen wäre.
    Kroff nahm also seine gewohnte Lebensweise im Kabak ‘Zum umgebrochenen Kreuze’ wieder auf, ja er wußte aus den jetzigen Umständen noch recht ansehnlichen Nutzen zu ziehen. Erschien er nicht wie ein später freigesprochener Verurteilter, nachdem man die Ungerechtigkeit seiner Verurteilung erkannt hatte? Kurz, man sprach von der Sache wohl noch einige Tage, doch dann war sie abgetan. Entging jetzt den Bankiers auch die Schuldsumme, die sie von Dimitri Nicolef zu fordern hatten, so waren sie doch wenigstens im Besitz der achtzehntausend Rubel, die ihnen Wladimir Yanof überbracht hatte.
    Nach der Beerdigung des Lehrers zogen sich Ilka und Jean, von dessen Rückkehr nach der Universität in Dorpat jetzt keine Rede mehr war, in ihr Haus zurück, dessen Schwelle gar viele der alten Freunde Nicolefs nicht mehr zu betreten wagten. Nur drei verließen sie in ihrem Jammer nicht: Wladimir Yanof, den hier zu erwähnen kaum nötig ist, Herr Delaporte und der Doktor Hamine.
     

    »Niemals,« entgegnete sie traurig. (S. 222.)
     
    Die Geschwister sahen ihre weitere Lebensbahn nicht mehr klar vor sich. Alles erschien dunkel, selbst was Dimitri Nicolef anging, den schuldig zu glauben, gegen die Natur zu streiten schien. Sie gingen so weit, zu glauben, daß sein Verstand unter den wiederholten schweren Schicksalsschlägen gelitten haben werde, daß er sich nur in einem Anfalle von geistiger Umnachtung getötet habe und daß dieser Selbstmord keineswegs beweise, daß er der Urheber des Verbrechens im ‘Umgebrochenen Kreuze’ gewesen sei.
    Es erscheint wohl kaum nötig auszusprechen, daß Wladimir Yanof dasselbe annahm, daß er sich sträubte, auch die erdrückendsten Beweise anzuerkennen. Wie wäre es aber möglich gewesen, daß jene numerierten Kassenscheine in den Besitz Dimitri Nicolefs gekommen wären, wenn dieser sie nicht von dem toten Poch gestohlen hatte?
    Wladimir sprach darüber auch mit dem Doktor Hamine, dem ältesten Freunde der Familie.
    »Ich will zugeben, sagte dieser mit unwiderlegbarer Logik, zugeben, lieber Wladimir, daß es Nicolef nicht gewesen ist, der Poch beraubt hatte, obgleich die Diebesbeute sich in seinem Besitz befunden hat. ebenso, daß sein Selbstmord kein untrüglicher Beweis für seine Schuld ist, da er wohl in einem Anfall von Geistesstörung, einer Folge der schrecklichen, ihn überwältigenden Prüfungen, Hand an sich gelegt haben könnte… eine Tatsache überwiegt aber doch das alles: Dimitri hat sich mit derselben Waffe umgebracht, mit der Poch getötet worden war, und vor dieser Tatsache muß man sich wohl beugen, so unglaublich, so entsetzlich das Ganze auch erscheint.
    – Wenn es an
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