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Ein Drama in Livland

Ein Drama in Livland

Titel: Ein Drama in Livland
Autoren: Jules Verne
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Freude erglänzte in seinen Zügen, und mit haßerfüllter Stimme rief er:
    »Das, Herr Yanof, sind Reichskassenscheine, die gestohlen waren.
    – Gestohlen?…
    – Ja ja, gestohlen aus der Mappe unseres unglücklichen Poch!
    – O nein! Das sind dieselben Scheine, die mir Dimitri Nicolef in Pernau übergeben hat, als er mir das ihm von meinem Vater anvertraute Depot auslieferte.
     

    »Das sind Reichskassenscheine, die gestohlen waren.« (S. 208.)
     
    – Da erklärt sich ja alles! rief Frank Johausen triumphierend. Er war außer stande, Ihnen dieses Depot zurückzuliefern, und da hat er eine Gelegenheit benützt…«
    Wladimir prallte einen Schritt zurück.
    »Bei unserer Firma waren die Nummern der Kassenscheine aufgezeichnet worden. Hier, sehen Sie selbst die Liste ein, fuhr Frank Johausen fort, während er aus einem Kasten des Tisches ein mit Ziffern bedecktes Blatt hervorholte.
    – Herr… Herr… stammelte Wladimir wie vom Donner gerührt, da er keine zusammenhängenden Worte finden konnte.
    – Ja, sprach Frank Johausen weiter, und da Sie diese Kassenscheine von Herrn Nicolef erhalten haben, liegt es auf der Hand, daß er sie von unserem Bankboten gestohlen hat, nachdem er diesen im Kabak ‘Zum umgebrochenen Kreuze’ ermordet hatte.«
    Wladimir Yanof war nicht imstande zu antworten. Er fühlte, wie ihm der Kopf wirbelte, wie ihm die Sinne schwanden, dennoch begriff er bei dieser Unruhe seiner Gedanken, daß Dimitri Nicolef endgültig verloren sei. Die Welt würde sagen, daß er die ihm einst anvertraute Summe unterschlagen und Riga nur auf den Brief Wladimir Yanofs hin in der Absicht verlassen habe, diesen um Verzeihung anzuflehen, nicht aber, ihm das Geld zurückzuerstatten, das er ja nicht mehr besaß. Da – so würde man weiter schließen – führte ihn der Zufall mit Poch im Postwagen zusammen, der eine wohlgefüllte Geldmappe des Bankhauses bei sich trug. Den Armen hätte er dann getötet und beraubt, und es wären die Kassenscheine der Gebrüder Johausen gewesen, die er dem Sohne seines Freundes Yanof, dessen Vertrauen er so schnöde gemißbraucht, zuletzt ausgeliefert hätte.
    »Dimitri… preßte Wladimir endlich hervor, Dimitri… er sollte…
    – Wenn Sie es nicht selbst getan haben, antwortete Frank Johausen.
    – Elender!«
    Wladimir Yanof hatte jedoch anderes zu tun, als diese persönliche Beleidigung zu rächen. Daß bei jemand der Gedanke auftauchen könnte, er sei der Urheber des Verbrechens, das machte auf ihn keinen Eindruck. Nur Nicolef war es, um den er sich sorgte.
    »Endlich, sagte Frank Johausen, nachdem er das durchgezählte Päckchen Kassenscheine weggelegt hatte, endlich haben wir also den Mordgesellen! Jetzt handelt sichs nicht mehr um einen Verdacht, jetzt liegt die Gewißheit, liegen greifbare Beweise vor! Der Herr Kerstorf hat mir einen verständigen Rat gegeben, als er davon abmahnte, die Nummern der gestohlenen Scheine bekannt zu machen. Früher oder später mußte sich der Mörder selbst fangen, und das ist jetzt geschehen. Ich eile zum Richter Kerstorf, und vor Ablauf einer Stunde wird der Befehl zur Verhaftung Nicolefs ergangen sein!«
    Inzwischen war Wladimir Yanof nach der Straße hinausgestürmt. Eiligen Schrittes und fast geistesabwesend wandte er sich dem Hause des Lehrers zu. Mit aller Macht bemühte er sich, die quälerischen Gedanken, die ihn erfüllten, von sich abzuschütteln. Er wollte und konnte nicht eher etwas glauben, als bis sich Nicolef über die Sache erklärt hätte, und diese Erklärung wollte er sofort herbeiführen. Die Kassenscheine waren ja nun einmal dieselben, die Dimitri Nicolef ihm nach Pernau gebracht und von denen er noch keinen einzigen angerührt hatte.
    Am Hause angelangt, stieß Wladimir dessen Tür auf.
    Im Erdgeschoß weder Jean noch Ilka, überhaupt zum Glücke niemand. Der erste Blick auf Yanof hätte jeden gelehrt, daß über die Familie ein neues, und jetzt ein unabwendbares Unglück hereingebrochen sei.
    Wladimir sprang die Treppe hinauf, die zu dem Zimmer des Lehrers führte.
    Hier saß Dimitri Nicolef, den Kopf in den Händen, an seinem Arbeitstische. Er erhob sich beim Eintreten Wladimirs, der auf der Schwelle stehen blieb.
    »Was wünschest du? fragte Nicolef, der den andern mit einem müden Blicke ansah.
    – Dimitri, rief Wladimir, um des Himmelswillen, sprecht, sagt mir alles! Ich verstehe nichts. Rechtfertigt euch… Doch nein, das ist wohl unmöglich!… Gebt mir wenigstens eine Erklärung… mir schwindet der
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