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Ein Drama in Livland

Ein Drama in Livland

Titel: Ein Drama in Livland
Autoren: Jules Verne
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dem ist, antwortete Wladimir als eine letzte Einwendung, so mußte Dimitri Nicolef ein Dolchmesser dieser Art besessen haben, das sein Sohn und seine Tochter bei ihm niemals gesehen hatten… nein, Herr Doktor, weder Sie noch sonst jemand. Hier zeigt sich noch ein unaufgeklärter Punkt…
    – Darauf kann ich nur eine Antwort geben, Wladimir: Nicolef muß dieses Messer besessen haben; wie könnte man daran zweifeln, da er sich dessen zweimal, gegen Poch und gegen sich selbst, bedient hat?«
    Wladimir ließ den Kopf sinken; er fand hierauf keine Antwort.
    Da nahm der Doktor Hamine wieder das Wort:
    »Was soll nun aus den unglücklichen Kindern, aus Jean und Ilka werden?
    – Nun, wird denn Jean nicht mein Bruder sein, wenn Ilka meine Frau ist?«
    Der Arzt ergriff die Hand Wladimirs und drückte sie mit Wärme.
    »Haben Sie denn glauben können, Herr Doktor, daß ich davon absehen würde, Ilka zu heiraten, sie, die ich liebe und die mich liebt, ob ihr Vater schuldig sei oder nicht?«
    Wenn er immer noch bei seinem Zweifel verharrte, war es doch, nach allem, was der Doktor Hamine gesagt hatte, nur seine Liebe, die ihm die Kraft dazu eingab.
    »Nein, Wladimir, antwortete der Arzt, ich habe nie geglaubt, daß Sie sich weigern würden, Ilka zu heiraten. Trifft denn die Unglückliche eine Verantwortlichkeit?
    – Nicht die geringste! rief Wladimir eifrig. In meinen Augen ist sie das beste, das edelste Wesen… ist sie der Liebe eines ehrenhaften Mannes würdig. Unsere Verehelichung wird sich freilich verschieben, doch sie wird erfolgen. Sollten wir diese Stadt verlassen müssen, so wird es geschehen.
    – Wladimir, ich erkenne Ihr gutes, edles Herz. Sie wollen Ilka heiraten, doch wird Ilka das jetzt auch wollen?
    – Wenn sie sich weigerte, wär es ja ein Zeichen, daß sie mich nicht liebte.
    – O, Wladimir, könnte es nicht auch ein Zeichen für ihre Liebe sein, einer Liebe, um deretwillen Ilka nicht wünscht, Sie erröten zu sehen?«
    Dieses Zwiegespräch veränderte in keiner Weise die Gefühle Wladimir Yanofs; im Gegenteil blieb dieser entschlossen, seine Vermählung mit Ilka eher zu beschleunigen, sie wenigstens stattfinden zu lassen, sobald es die Umstände gestatteten. Darum, was man in der Stadt sagen, was man von ihm denken würde, selbst um den etwaigen Tadel seiner Freunde, kümmerte er sich ja nicht. Nur eines lag ihm schwer am Herzen: seine augenblickliche Lage.
    Von dem Depot, das ihm Dimitri Nicolef ausgehändigt hatte, war ihm nach der Zahlung an die Gebrüder Johausen nur sehr wenig, nur ein Rest von zweitausend Rubeln übrig geblieben. Sein Vermögen hatte er ja hingeopfert, als er nach dem Bankhause ging, den Schuldschein Dimitri Nicolefs einzulösen. Nun, wenn ihn damals die Zukunft nicht erschreckte, warum sollte sie ihn dann heute mehr erschrecken? Er würde arbeiten… für sich und seine Gattin. Mit Ilkas Liebe erschien ihm nichts unmöglich.
    So vergingen vierzehn Tage; Jean, Ilka, Wladimir und der Doktor Hamine hatten einander sozusagen niemals verlassen. Der Arzt und zuweilen Herr Delaporte waren die einzigen, die ins Haus des Lehrers gekommen waren.
    Wladimir hatte bisher noch kein Wort bezüglich der Heirat fallen lassen, sein Dableiben sprach ja genug für ihn. Auch Jean und Ilka hatten noch keines eine Andeutung davon geäußert. Meist verhielten sich der Bruder und die Schwester schweigend und blieben stundenlang allein in demselben Zimmer.
    Da entschloß sich Wladimir endlich, der Zurückhaltung, die das junge Mädchen beobachtete, ein Ende zu machen.
    »Ilka, begann er eines Tages mit tieferregter Stimme, als er mit ihr allein im Zimmer war, als ich Riga – es ist nun vier Jahre her – verließ, als ich von dir getrennt und nach Sibirien verwiesen wurde, da versprach ich dir, dich niemals zu vergessen. Sprich: habe ich mein Wort gehalten?
    – Ganz gewiß, Wladimir.
    – Ich habe dir beteuert, dich immer zu lieben. Haben sich meine Gefühle für dich verändert?
    – Ebensowenig wie die meinigen für dich, Wladimir, und wenn ich die Erlaubnis dazu hätte erwirken können, wäre ich schon draußen zu dir gekommen und wäre dein Weib geworden…
    – Die Gattin eines Verurteilten, Ilka!
    – Nein, nur die eines Verbannten, Wladimir«, antwortete das junge Mädchen.
    Wladimir empfand zwar die Unterscheidung, die sie in die Worte legte, er vermied es aber, näher darauf einzugehen.
    »Jetzt, liebe Ilka, fuhr er fort, bist du aber nicht mehr genötigt, da hinaus zu kommen, um mein Weib zu
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