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Ein Drama in Livland

Ein Drama in Livland

Titel: Ein Drama in Livland
Autoren: Jules Verne
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werden. Die Verhältnisse haben sich geändert: jetzt bin ich gekommen, dein Gatte zu werden!
    – Du hast recht, zu sagen, daß die Verhältnisse sich geändert haben, Wladimir… ach ja… doch in schrecklicher Weise.«
    Sie sprach die letzten Worte mit einem so schmerzlichen Nachdruck, daß ihr ganzer Körper dabei erzitterte.
    »Meine liebste Ilka, sagte Wladimir darauf, welch grausame Erinnerung es auch in dir wachrufen konnte, ich mußte mich gegen dich einmal aussprechen.
    Ich will dich nicht länger quälen. Ich kam nur, dich um Einlösung deiner Versprechungen zu bitten.
    – Meiner Versprechungen, Wladimir, antwortete Ilka, die die Seufzer, welche ihre Brust erfüllten, nicht mehr zurückhalten konnte… meiner Versprechungen?… Ach, als ich dir diese gab, war ich dazu noch würdig, doch heute…
    – Heute, Ilka, bist du würdig, sie zu halten.
    – Nein, Wladimir, wir müssen die Pläne vergessen, die wir einst entworfen haben…
    – Du weißt doch zu gut, daß ich sie nie vergessen werde. Wären sie nicht schon seit einigen Wochen verwirklicht worden, gehörten wir heute einander nicht unauflösbar an, ohne das Unglück, das sich am Vorabend unserer Verbindung ereignete?
    – Ja freilich, antwortete Ilka resigniert, doch Gott sei gelobt, daß es noch nicht dazu gekommen war. Jetzt brauchst du es nicht zu bereuen, brauchst nicht zu erröten, in eine Familie eingetreten zu sein, über die so unsägliche Schmach und Schande gekommen ist!
    – Ilka, erwiderte Wladimir ernst, ich würde es nimmer bereut haben, das schwör’ ich dir, würde nie darüber errötet sein, als der Gatte Ilka Nicolefs dazustehen, an der ja kein Makel haftet.
    – Nun ja, Wladimir… ich glaube deinen Worten, rief das junge Mädchen, der das Herz zu zerspringen drohte. Ich kenne den Edelmut deines Charakters. Du würdest es nicht bereut haben, würdest nicht um meinetwillen errötet sein. Du liebst mich von ganzem Herzen, doch nicht mehr als ich dich!
    – Ilka, meine angebetete Ilka!« rief Wladimir, der ihre Hand erfassen wollte.
    Ilka zog sie sanft zurück.
    »Ja, wir lieben einander, antwortete sie. Unsere Liebe ist für uns das Glück, doch eine Verbindung zwischen uns ist jetzt unmöglich geworden.
    – Unmöglich? wiederholte Wladimir. Darüber bin ich doch, muß ich doch der einzige Richter sein. Ich bin kein Kind mehr, Ilka! Mein Leben ist bis jetzt kein so leichtes, kein so glückliches gewesen, daß ich mich nicht daran gewöhnt hätte, reiflich zu überlegen, was ich tun will. Da ich dich liebe und da du mich wieder liebst, schien mir endlich das Glück zu winken. Ich hegte die Hoffnung, du werdest so viel Vertrauen zu mir haben, das für recht zu halten, was ich für recht ansähe, und nicht über eine Sachlage urteilen, die du unmöglich richtig beurteilen kannst.
    – Die ich beurteile, wie die Welt sie beurteilen wird, Wladimir!
    – Was geht mich die Anschauung der Menschen an, die du die Welt nennst, liebe Ilka? Für mich bist du die Welt, nur du allein, so wie ich es doch auch für dich sein sollte. Wir verlassen diese Stadt, wenn du es wünschest. Jean begleitet uns, und wohin wir auch gehen, werden wir glücklich sein, das schwöre ich dir!… Ilka, meine geliebte Ilka, sage, daß du mein Weib werden willst!«
    Wladimir sank vor ihr auf die Knie, er bat, er flehte sie an. Es schien aber, als ob Ilka noch mehr vor sich selbst schauderte, als sie ihn in dieser Lage sah.
    »Steh’ auf, stehe auf! bat sie ihn. Man kniet nicht vor der Tochter eines…«
    Wladimir ließ sie nicht ausreden.
    »Ilka, Ilka, rief er immer wieder, halb von Sinnen und die Augen voller Tränen, Ilka, werde mein Weib!
    – Niemals, entgegnete sie traurig, niemals wird die Tochter eines Mörders die Gattin Wladimir Yanofs werden.«
    Diese Szene hatte beide gebrochen. Ilka zog sich auf ihr Zimmer zurück Wladimir, der sich in seiner Verzweiflung nicht zu fassen vermochte, verließ das Haus, irrte ziellos durch die Straßen und auf dem Lande umher und flüchtete endlich zu dem Doktor Hamine.
    Der Arzt erkannte sofort, daß es zwischen den beiden Verlobten zu einer Erklärung gekommen war, zwischen zwei Liebenden, die jetzt ein unüberbrückbarer, von den starren gesellschaftlichen Rücksichten gegrabener Abgrund trennte.
    Wladimir schilderte ihm das Vorgefallene und wiederholte, wie er Ilka gebeten, ja angefleht habe, ihren Entschluß zu ändern.
    »Ach, mein armer Wladimir, antwortete der Doktor Hamine, ich hatte es Ihnen ja gesagt… ich
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