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Ein dickes Fell

Titel: Ein dickes Fell
Autoren: Heinrich Steinfest
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dennoch eine Unsicherheit. Dazu kam, daß Anna nicht die Zeit und das Geld besaß, ewig in eine Ausbildung zu investieren, deren eigentlichen Zweck sie zu verheimlichen hatte. Vor allem bedauerte sie, ohne einen dezidierten Instrukteur auskommen zu müssen. Sie hätte jenen Zauber dringend nötig gehabt, den sogenannte Meister mitunter in ihre Schüler einzupflanzen verstehen. Den Zauber, der auch Talente hervorbringt, die im Grunde gar nicht bestehen.

2 Ein Gott namens Smolek
    Anna Gemini zweifelte an ihren Fähigkeiten. So sehr, daß sie es weiterhin unterließ, sich um die ethische Frage zu kümmern. Sie war wie jemand, der angesichts einer ungeöffneten Weinflasche wenig Lust verspürt, einen möglichen Alkoholismus zu diskutieren. Zudem blieb völlig unklar, wie sie jemals an einen Auftrag herankommen sollte.
    Aber wenn der einmal gedachte Gedanke ein Kobold war, dann war das nun folgende Schicksal ein Superkobold. Anna Gemini sollte einen Mann kennenlernen, mit dem sich alles veränderte. Und das, obgleich er weder ihr Lehrmeister noch ihr Mentor wurde und genaugenommen auch von einem Agenten nicht die Rede sein konnte. Denn dieser Mensch, der als mittlerer Beamter im Wiener Stadt- und Landesarchiv beschäftigt war, blieb an einem finanziellen Profit desinteressiert.
    Will man ihm gerecht werden, so muß man ihn wohl als eine diabolische Figur bezeichnen. Wobei das Diabolische hier nicht mit dem Teuflischen oder eindeutig Negativen gleichgesetzt werden sollte. Es schien, als wollte dieser Mann aus purem Interesse am Leben den Tod fördern. Und zwar aus jener Distanz heraus, die einen vernünftigen Beobachter von einem unvernünftigen unterscheidet. Siehe Journalisten. Sein Name: Kurt Smolek.
    Dieser Smolek gehörte zu jenen unauffälligen Leuten, welche die Unauffälligkeit aber nicht auf die Spitze treiben, also nicht etwa in ihr oder mit ihr explodieren und solcherart Lärm verursachen.
    Eine solche Übertreibung der Unauffälligkeit hätte beispielsweise darin bestanden, nicht nur explizit unverheiratet auszusehen, sondern es auch zu sein. Smolek in seiner untersetzten, durch und durch gräulichen Gestalt – er badete geradezu im Grau –, mit seinem runden Gesicht, den wenigen Haaren, die seine Glatze schüchtern umkreisten, und der altväterischen Hornbrille wirkte zwar ziemlich unverheiratet, war es aber nicht. Vielmehr führte er eine Ehe ohne offenkundige Geheimnisse, und zwar mit einer Frau, die wie er selbst nicht den geringsten Anlaß bot, sich irgendeine Abartigkeit oder auch nur Abenteuerlichkeit vorzustellen. Das Ehepaar Smolek stand vor der Welt wie die beiden Figuren eines Wetterhäuschens, sich also im Einklang mit der Gesetzmäßigkeit des Wetters befindend, durch dieses Wetter gleichzeitig verbunden und getrennt.
    Die Wirklichkeit freilich war eine andere. Aber die Wirklichkeit ist natürlich immer eine andere.
    Kurt Smolek, der auf die Sechzig zuging wie auf einen ozonbedingten Klimawechsel, betrieb seinen Beruf mit großer Akribie und ohne Verzettelung. Von den Kollegen wurde er geachtet, aber nicht wirklich wahrgenommen. Bei Diskussionen gleich welcher Natur hielt er sich zwar nicht heraus, vertrat jedoch eine unpersönliche, eine statistische und mathematische Position. Dazu gehörte auch, in Gesellschaft ein, zwei Gläser Wein zu konsumieren, also jene Menge der Vernunft und der Mitte. Ja, er war ein Musterbeispiel für einen Vertreter der Mitte, in welcher er wie in einem bequemen, unverrückbaren, nicht zu großen und nicht zu kleinen Fauteuil saß. Er galt als langweilig und ungefährlich.
    Was für ein Irrtum! Denn wenn Herr Kurt Smolek etwas durch und durch war, dann gefährlich.
    Die, die von seiner Macht wußten, hatten nicht das geringste Interesse, sie publik zu machen. Wahrlich nicht. Es handelte sich um Leute, die Smolek zu größtem Dank verpflichtet waren und denen der Tod eines bestimmten Menschen irgendeine Form von Erleichterung verschafft hatte. Eine Erleichterung, die in der Regel ohne Gewissensbisse auskam, natürlich aber nicht ohne Furcht vor Enthüllung. In diesem Punkt stand Smolek wie ein Schutzpatron über der Sache. War ein Fall abgeschlossen, ein Mensch ermordet, ein anderer erleichtert, so verhielt sich Smolek wie der Archivar, der er war. Verschwiegen, unbestechlich, korrekt, die Fäden in Händen haltend, ohne sie wirklich zu regen. Mehr am Stillstand als an der Bewegung interessiert.
    Begonnen hatte alles, nachdem ein großer Förderer des Stadt- und
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