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Ein dickes Fell

Titel: Ein dickes Fell
Autoren: Heinrich Steinfest
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Bewegung, Hauptsache, sie stand nicht still wie am ersten Tag.
    Was nun sicherlich am meisten erstaunt, ist das Überleben des Markus Cheng. Denn dies war keineswegs der Plan gewesen. Cheng hätte sterben sollen. Ja, man könnte sagen, daß diese ganze verrückte Geschichte in erster Linie darum entstanden war, um schlußendlich den Tod des nach Wien heimgekehrten Detektivs herbeizuführen und solcherart einen Kreis sauber und endgültig zu schließen. Jedenfalls war Chengs Tod sehr viel eher auf dem Programm gestanden als jener von Leuten wie Smolek, Pavor, Thanhouser oder eines Mannes, der harmloserweise Hundertschillingscheine gesammelt hatte und harmloserweise vorgegeben hatte, eine Frau zu sein. Vollkommen notwendig hingegen waren die Morde an Smoleks namenlosem »Stellvertreter« sowie an dem literarischen Popstar Sam Soluschka. Es gibt nun mal Leute, die den eigenen Tod erzwingen, gewissermaßen solange keine Ruhe geben, solange provozieren und mit dem Finger auf sich zeigen, bis also endlich jemand sich ein Herz nimmt und zusticht oder abdrückt oder eben eine Überdosis 4711 in den fixierten Körper einflößt. Aber wie gesagt, ganz oben auf der Liste war der Name Chengs notiert gewesen. Sein gedachter Tod hatte die Richtung, die Farbe, den Geschmack und den Charakter der Ereignisse bestimmt. Und was macht der Mann? Anstatt beispielsweise beim Versuch, Kurt Smolek zu retten, von der Aussichtsplattform der Wiener Hauptbücherei zu stürzen oder am Dachboden seines alten Wohnhauses erhängt zu werden, entgeht Cheng dem Wiener Minenfeld ohne jede Blessur. Benimmt sich wie ein Golfball, der in einem emmentalerartigen Grün in kein einziges Loch fällt. Es darf nun gesagt werden, daß Cheng, wie erwartet, den Ansprüchen seiner elfjährigen Lebensretterin entsprach und Ginette Rubinstein heiratete. Woraus eine ziemlich gute Ehe hervorgehen sollte, die zweite gute Ehe also, die dieser Geschichte zu verdanken war. Und wie viele Geschichten können so etwas schon von sich behaupten? Eine Unmenge Tote gibt es auch anderswo, aber gute Ehen …?
    Freilich bestehen auch Grenzen der Idylle. Der Hund, der Lauscher war, starb noch in derselben Nacht, in welcher sein Herrchen Cheng im Maul eines Kartäuserkaters den geheimen Namen Gottes feststellte. Lauscher war aus dem letzten Schlaf seines Lebens einfach nicht mehr erwacht und würde auf diese Weise bis in alle Ewigkeit meinen, bloß zu schlafen und demnächst zwischen Wirthausstühlen zu erwachen. Und bei genauer Betrachtung stimmte das ja auch. Nicht das Leben, sondern der Tod war die Illusion. Und es war ja nun ganz typisch, daß Lauscher dieser Illusion schlafenderweise nicht erlag. Alle anderen, die im Laufe dieser Geschichte gestorben waren, taten das. Bildeten sich ein, tot zu sein.
    Apropos Illusion. Wenn zu Anfang gesagt wurde, daß die Bedeutung von 4711 und 3902 unklar bleiben muß (und dem Wahnsinn oder der Weitsicht der einzelnen Figuren überlassen ist), so kann aber wenigstens erwähnt werden, daß die Ziffernfolge 3902 auf einem Mißverständnis basiert, respektive auf einem Übersetzungsfehler. Denn sowohl Ludvig Dalgard als auch Magda Gude – beide Freunde des Deutschen – bezogen sich auf die deutschsprachige. Fassung von Hitchcocks North by Northwest, sprich auf Der unsichtbare Dritte. Keiner von ihnen machte sich aber die Mühe, einmal in die Originalfassung hineinzuhören, in welcher nämlich das Zugabteil, von dem die Rede ist und in das sich Cary Grant flüchtet, die Nummer 3901 trägt, eine Zahl, die etwa auch in den Untertiteln der norwegischen und dänischen Übersetzung aufscheint, in der deutschen Synchronisation jedoch mit besagter 3902 versehen wird. Das mag simple Schlamperei sein oder auch damit zusammenhängen, daß die Lippenbewegung von »zwei« eher jener von »one« entspricht, zumindest mehr als die von »eins«, welches auszusprechen eine Verbreiterung des Mundes nach sich ziehen müßte.
    Freilich besteht neben dem für jedermann nachprüfbaren Übersetzungsfehler auch ein höchst privater Rechenfehler, der von Ludvig Dalgard in die Welt gesetzt wurde, indem er behauptete, die Summe der einzelnen Ziffern von 4711 ergebe die Zahl 14, wie auch im Falle von 3902. Nun, wie jedes Kind leicht nachrechnen kann, führt die Addition von Vier und Sieben und den beiden Einsen zur Zahl 13. Dennoch nimmt auch Magda Gude diesen Fehler wie selbstverständlich an, offensichtlich ohne Prüfung, höchstwahrscheinlich diese gewisse
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