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Ein dickes Fell

Titel: Ein dickes Fell
Autoren: Heinrich Steinfest
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Kunst.
    Smolek suchte nach einem absoluten Außenseiter, einem einzelgängerischen Amateur ohne eigene Handschrift. Handschriften waren das schlimmste. Ihr Zweck schien allein darin zu bestehen, daß ein halbwegs aufmerksamer Kriminalist daraus ein naturalistisches Porträt des Täters entwickeln konnte. Darum wurden sie ja auch gefaßt, all diese Ganoven, die sich für Genies hielten und deren Verbrechen so leicht zu verifizieren waren wie ein kleiner Ausschnitt aus einem Gemälde. Man sieht einen Farbflecken und weiß: Monet.
    Smolek suchte und fand, und zwar einen jungen Mann, einen Studenten, der zwischen echtem Fleiß und echter Faulheit hängengeblieben war und vollkommen paralysiert auf der Stelle trat. Smolek holte ihn von dieser Stelle weg und war auch gar nicht überrascht, wie rasch sich der junge Mann dafür begeistern ließ, einen Mord zu begehen. Dieser Mord würde – so pervers das klang – aus dem jungen Mann einen Menschen machen. Und das spürte der junge Mann. Er drang also mit dem Geschick seines Alters in die Villa des Opfers ein und ließ sich von diesem bei einem fingierten Einbruch überraschen. Beziehungsweise natürlich nicht überraschen. Sondern schlug ihn nieder und tötete ihn mit einem Dutzend, scheinbar ungezielter Hiebe auf den Hinterkopf. Die vorgetäuschte Brutalität sollte auf eine Täterpersönlichkeit verweisen, die wenig bis nichts mit dem tatsächlichen Mörder zu tun hatte. Der ja auch kein Mörder war, sondern ein bezahlter Killer. Und das ist ein Unterschied wie zwischen einem Mann, der eine fettige Currywurst verzehrt und einem Mann, der ein Buch über Currywürste schreibt.
    Nachdem nun der Hausherr tot war, wurde die Täuschung vervollständigt, indem der junge Mann mehrere wertvolle Tischuhren aus der Sammlung des Opfers entwendete. Wobei dieses »Diebesgut« niemals wieder auftauchen sollte. Smolek achtete auf solche Dinge, ja, er wies den Killer an, die gesamte Ware von nicht unbeträchtlichem Wert noch in derselben Nacht zu zerstören, wobei sich herausstellen sollte, daß es einfacher war, einen Kerl von neunzig Kilogramm zu erschlagen als fünf Tischuhren bis zur Unkenntlichkeit zu demolieren und zu entsorgen. Aber es funktionierte. Und was vor allem funktionierte, war Smoleks Annahme, daß man im Zuge der Nachforschungen auch jene in Rechnung gestellte Orpheus-Tischuhr in die Liste der gestohlenen Objekte aufnehmen würde.
    Die Sache zog sich natürlich eine Weile hin. Die Polizei operierte mit verständlicher Neugierde, auch aus dem Grund, da man lieber in vornehmen Kreisen herumstocherte, als sich in die Schicksale armer Schlucker einzufühlen. Lieber Tischuhren umdrehte als grindige Bierdeckel. Lieber die Stockwerke einer Villa hinauf- und hinuntermarschierte, als sich in Zwei-Zimmer-Wohnungen auf die Zehen zu steigen.
    Nachdem aber die Kriminalisten einfach nichts hatten entdecken können, was über das Faktum eines brutalen Raubmordes hinausgegangen wäre, oblag es der Witwe, ein beträchtliches Erbe anzutreten und die Geschäfte ihres Mannes fortzuführen. Eine aufwendige, teils erfreuliche, teils unerfreuliche Aufgabe. Zu den bitteren Momenten gehörte es, jene Rechnung zu bezahlen, die ihr Gatte nicht mehr hatte begleichen können. Darin lag eine tiefe Tragik, für eine Uhr aufzukommen, die einerseits als gestohlen galt und andererseits noch nicht versichert worden war, und derentwegen man ihren Mann offensichtlich umgebracht hatte. Während sie selbst – und Smolek hatte dies frühzeitig in Erfahrung gebracht – nicht das geringste Interesse an solch altertümlichen Großuhren besaß und auch nie verstanden hatte, wie man ein kleines Vermögen dafür ausgeben konnte. Was zudem bedeutete, daß ihre Kenntnis der Sammlung eine geringe war und sie keinesfalls bemerkt hätte, daß jene Orpheus-Tischuhr niemals geliefert und aufgestellt worden war. Das waren Dinge, welche die Witwe stets von sich ferngehalten hatte. Aber selbstverständlich wußte sie um ihre Pflicht, Ordnung zu schaffen, und beglich die Rechnung anstandslos. Sodaß die Ordnung in diesem Augenblick – da jeder auf seine Weise seinen Frieden gefunden hatte – nicht hätte größer sein können.
    Nachdem nun alles erledigt war, stellte Smolek fest, wie sehr der Tod eines bestimmten Menschen sich eignen konnte, eine Situation zum Guten zu wenden. Was soweit ging, daß die kinderlose Witwe nach einer angemessenen Zeit den Bruder des Verstorbenen heiratete, wodurch nicht nur zwei Menschen,
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