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Ein Clochard mit schlechten Karten

Ein Clochard mit schlechten Karten

Titel: Ein Clochard mit schlechten Karten
Autoren: Leo Malet
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nicht
verläßt, daß er uns nicht verläßt, das Kind und mich, daß er zurückkommt.“
    „Machen Sie sich keine Sorgen.
Wenn es nur von mir abhängt, kommt er zurück. Und das Geld... Zerbrechen Sie
sich nicht den Kopf darüber, wie er dazu gekommen ist. Vielleicht hat er sich’s
tatsächlich geliehen. Nicht alle Leute sind Arschlöcher. Es gibt auch nette,
die einem mal aushelfen.“
    Sie schüttelte den Kopf.
    „Wenn er’s geliehen hat, weiß
ich nicht, ob ich mich darüber freuen soll. Stellen Sie sich vor, der Mann, der
es ihm geliehen hat, kommt und verlangt es zurück, von mir, heute oder morgen!
Das hätte mir noch gefehlt.“
    „Zerbrechen Sie sich darüber
nicht den Kopf“, wiederholte ich. „Wenn das passiert, werden wir schon
weitersehen.“
    „Ja. Jedenfalls, mit dem
Honorar... Gut, daß Sie davon angefangen haben. Ich...“
    Ich wischte das Problem mit
einer Handbewegung zur Seite. „Später. Irgendwann.“
    Aber die Frau widersprach:
    „Nein, nein. M’sieur , ich kenne mich. Sie müssen ein Honorar nehmen,
wenn auch nur ein kleines. Sonst meine ich, daß Sie mir nicht ernsthaft helfen
wollen.“
    „Na gut. Wenn Sie unbedingt
Geld loswerden wollen... Zwei- oder dreitausend reichen für die Anfangsspesen.
Später werden wir sehen.“
    Sie stand auf und ging zum
Buffet. Aus der Schublade holte sie eine alte Keksdose, die zum Tresor
avanciert war. Die Frau nahm zwei Fünftausender und einen Eintausender heraus. Einer der Fünftausender wanderte zu mir. Ich hatte keine Lust, darüber
zu streiten. Also schob ich den Schein in die Tasche. Bei der nächsten Gelegenheit
würde ich ihn ihr wieder zurückgeben. Dann trank ich den Rest aus meinem Glas
und schnappte mir meinen Hut.
    „Ich werd Sie auf dem laufenden halten“, versicherte ich meiner
neuen Klientin.
    „Bringen Sie ihn zu mir
zurück“, flehte sie. „Das war bestimmt nur eine Kurzschlußhandlung ,
er hat alles nur noch schwarz gesehen.“
    „Bestimmt.“
    „Er läßt mich doch nicht
einfach so sitzen! Was soll denn aus mir werden, mit dem Kind? Ich spür schon
die schwere Last auf meinen Schultern...“
    „Kommen Sie, regen Sie sich nicht
jetzt schon so auf! Ist gar nicht gut für Ihren Zustand.“
    Sie brachte mich hinaus. Der
Wind fegte über die Außentreppe. Es regnete immer noch. Irgendwo pladderte das Wasser aus einer übervollen Regenrinne auf
sonore Mülleimerdeckel.
    „Sagen Sie“, fragte ich noch
zum Abschied, „wer ist die junge Frau, der ich vorhin auf der Treppe begegnet
bin? Jeanne heißt sie.“
    Die wilde Ehefrau von Demessy verzog verächtlich den Mund.
    „Meinen Sie Jeanne Marigny ?“
    „Kann sein. Weiß ich nicht. Ich
glaube, sie wohnt über Ihnen.“
    „Ja, die Tochter der Witwe Marigny , ‘ne Rumtreiberin.“
    „Die Witwe?“
    „Nein, die Tochter. Warum
fragen Sie?“
    Weil ich mich sowohl für Witwen
als auch für Halbwaisen zuständig fühle, hätte ich antworten können. Aber ich
hielt mich zurück.
    „Nur so“, sagte ich.
    Sie runzelte die Stirn.
    „Hm... Nur so! Vermuten Sie
vielleicht, daß Paul und die...“
    „Ja?“
    „Daß sie was zusammen hatten?“
    „Also, das werden Sie doch wohl
besser wissen als ich. Haben Sie was bemerkt?“
    Sie brummte:
    „Ob ich was bemerkt habe...
Alle Männer im Haus ziehen über sie her; aber alle sind scharf auf sie, ob jung
oder alt.“ Ich lächelte.
    „Oder auf ihre Slips.“
    „Ach! Sie also auch!“
    „An so was kann man nicht
vorbeisehen.“
    „Die kleine Schlampe behauptet,
das würde die Fassade verschönern!“
    „Finden Sie das nicht?“
    „Herrgott! Das fragen Sie mich?
Und außerdem geht Sie das überhaupt nichts an.“
    „Würd ich nicht so sagen. Auf
Wiedersehn. Madame Demessy . Sobald ich was weiß, sag
ich Ihnen Bescheid.“
    Ich kämpfte mich die Treppe
hinunter. Der Wind war meinem Hut böse, kannenweise schüttete er Regen in
meinen Kragen. Ich fühlte mich wie auf hoher See, bei Windstärke 12. Dann hatte
ich endlich wieder festen Boden unter den Füßen. Ich ging über den verlassenen
Hof durch das Gittertor. Von dort gönnte ich mir noch einen Blick auf die
Fassade. Im Fenster in der dritten Etage ödeten sich noch immer die beiden
Häkelmonster an. Darüber vollführte der patschnasse blaue Nylonslip
Freudensprünge.

3
     
    Mein Wagen stand in der Rue de Dantzig , am Gitterzaun des Schlachthofs (In der Gegend
gibt’s ‘ne Menge Gitterzäune!). Von dort fuhr ich zur Kreuzung Rue de la Convention und Rue de Vaugirard
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