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Ein Bündel Geschichten für lüsterne Leser

Ein Bündel Geschichten für lüsterne Leser

Titel: Ein Bündel Geschichten für lüsterne Leser
Autoren: Henry Slesar
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nicht möglich, Jimmy. Das ist nicht wahr!«
    Sein Gesicht entspannte sich. Er trank einen Schluck Wasser, und plötzlich klang seine Stimme wieder ganz normal.
    »Ich möchte, dass du mir einen Gefallen tust, Maude. Es ist das einzige Mal, dass ich dich um so etwas bitten werde. Denn ich werde mich ändern. Wenn alles vorbei ist, werde ich mich ändern.«
    »Wenn was vorbei ist?«
    »Noch eine Sache. Nur eine einzige, so wahr mir Gott helfe. Aber diesmal muss es eine lohnende Sache sein, so lohnend, dass wir damit etwas anfangen können. Ich möchte, dass du mir eure Unterlagen aus der Praxis mitbringst. Und zwar so viele, wie du tragen kannst. Nur die laufenden Fälle, also Unterlagen über Patienten, die er gerade behandelt. Nein, sage jetzt noch nichts, sondern lass mich erst zu Ende sprechen. Ich möchte nicht, dass du die Unterlagen stiehlst, Maude; ich möchte nur, dass du sie dir ausleihst. Ich werde sie dann sehr schnell durchsehen – so schnell, dass du sie am nächsten Morgen wieder zurückbringen kannst. Vielleicht finde ich das, was ich suche, sofort; vielleicht wirst du es noch einmal oder zweimal tun müssen. Jedenfalls verspreche ich dir, dass du keinen Ärger bekommst, Maude. Es kann nicht schiefgehen.«
    Seine Stimme klang dünn und fern, genauso wie ihre eigene Antwort.
    »Was sagst du da, Jimmy? Warum willst du die Unterlagen von Dr. Cowper haben? Was können sie dir schon nützen?«
    »In der vergangenen Nacht kam mir eine Idee. Vielleicht eine gute, vielleicht sogar eine großartige Idee. Bei den Notizen, die sich ein Psychoanalytiker macht, handelt es sich doch um ziemlich persönliche Dinge, nicht? Ich meine, der Patient muss dem Arzt doch alles erzählen, nicht wahr?«
    »Natürlich.«
    »Vor einem Psychoanalytiker darf man doch keine Geheimnisse haben, stimmts? Sonst wäre doch alles vergeblich. Deshalb habe ich mir überlegt, was sein könnte, wenn ich mir die Notizen des Doktors einmal ansähe, wenn ich sie durchlesen könnte...« Er trank den Rest des Wassers mit einem Schluck aus. »Dein Chef hat eine Menge reicher Patienten, Maude. Sie können sich ein paar Tausender leisten; sie würden ihnen nicht wehtun. Aber für mich, für uns würden sie sehr viel bedeuten...«
    Sie blickte ihn an, schüttelte den Kopf und lehnte sein schreckliches Verlangen stumm ab.
    »Wir wollen jetzt nicht mehr darüber sprechen«, sagte Jimmy schnell. »Nicht jetzt, Maude, nicht jetzt.«
    In derselben Nacht noch sprachen sie darüber, und wieder sagte sie nein und weinte in seinen Armen und schwor, dass sie kein Geld brauchten, um glücklich zu sein. Er widersprach ihr nicht, aber sein Gesicht war entschlossen. Für den Rest dieser Woche war ihr Unglück fast mit Händen zu greifen, geradezu physisch; zwei Tage ging sie nicht ins Büro. Die folgende Woche war noch schlimmer; sie hatten vereinbart, sich eine Weile nicht zu sehen, und Maude entdeckte, dass diese Vereinbarung eine Qual war. Sie rief ihn an und bat ihn demütig, zu kommen. Er besuchte sie auch, und zum ersten Mal stritten sie sich laut, und er drohte, noch viel schlimmere Verbrechen zu begehen als das verhältnismäßig saubere Verbrechen der Erpressung.
    Und in der dritten Woche war Maude Sheridan einverstanden, die Unterlagen von Dr. Cowper mitzubringen.
    Es war der schlimmste Tag ihres Lebens. Als normaler Arbeitstag war er nicht ungewöhnlich. Dr. Cowper war guter Laune; ein Patient hatte ›bestanden‹, und für seinen schwierigsten Fall, den zerquälten Mr. Harrison, war an diesem Tag kein Termin abgemacht. Scherzhaft erkundigte er sich bei ihr nach Jimmy, und sie versuchte lächelnd zu antworten. Um vier Uhr beschloß er, nach Hause zu gehen, und schlug vor, dass auch sie zeitig Schluß machen solle. Sie sagte nein, denn sie hätte noch verschiedenes zu schreiben und Unterlagen abzulegen. Er klopfte ihr flüchtig auf die Schulter und ging.
    Als er weg war, machte sie sich das Gesicht sorgfältig zurecht, denn das blasse Spiegelbild, das sie in ihrer Puderdose sah, irritierte sie. Dann ging sie zum Aktenschrank in der Praxis und zog die Schublade auf, in der sich die laufenden Fälle befanden.
    Nur die Hälfte der Aktenordner holte sie heraus und achtete sorgfältig darauf, dass sie nicht durcheinander gerieten. Dann nahm sie ein großes Geschäftskuvert, schob die Akten hinein und klebte den Umschlag sorgfältig zu. Um ganz sicher zu gehen, schrieb sie auf den Umschlag: »Der Finder wird gebeten, diesen Umschlag an folgende Adresse zu
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