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Ein Bündel Geschichten für lüsterne Leser

Ein Bündel Geschichten für lüsterne Leser

Titel: Ein Bündel Geschichten für lüsterne Leser
Autoren: Henry Slesar
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zwei Jahren habe ich insgesamt vier Jobs gehabt, und keiner hat mir mehr als achtzig Dollar pro Woche eingebracht. Ich bin für dich nicht gut genug.«
    Sie nahm seinen Kopf in ihre Arme; wenn er ernsthaft redete, war er wie ein Kind, ein sehr ernstes schwarzhaariges Kind. »Das zu entscheiden überlasse bitte mir, verstanden?«
    »Aber du ahnst nicht, wie ich mir vorkomme. Ein so großartiges Mädchen wie du, dem ein Kerl wie ich am Halse hängt – das wäre nicht anständig. Ich möchte erst noch etwas unternehmen, Maude – verstehst du? Und dann möchte ich, dass wir heiraten.«
    Es war das erste Mal, dass er vom Heiraten sprach. Es war ein Wort aus einem Fremdwörterbuch. Sie wiederholte es lautlos und sagte dann:
    »Nichts ist wichtig, Jimmy, glaube mir. Wichtig für mich bist allein du...«
    Am nächsten Tag war ihr Glück wie ein Hauch, eine Ausstrahlung. Selbst Dr. Cowper, der von seinem zweifachen Problem – der Last des eigenen Alters und den stürmischen Konflikten seiner Patienten – völlig in Anspruch genommen war, merkte etwas.
    »Heute scheinen Sie mit sich zufrieden zu sein, Maude.«
    »Nicht besonders«, sagte sie. »Ich habe nur das Gefühl, innerlich zu glühen.« Verwirrt errötete sie und beschäftigte sich dann mit ihren Notizen. »Um halb elf kommt Mr. Har- rison, Doktor, und ich sollte Sie daran erinnern, dass Sie mit ihm eine andere Zeit ausmachen.«
    »Ja – richtig.« Sein Gesicht verdüsterte sich wieder. »Der arme Mr. Harrison...«
    »Hat es – ich meine, hat sich irgendein Fortschritt gezeigt?« Sorgfältig wählte sie ihre Worte, weil sie wusste, dass es ein heikles Thema war.
    »Kein allzu großer. Manchmal habe ich das Gefühl, dass der Fehler bei mir liegt, dass ich die Lösung schon lange hätte finden müssen. Oder dass ich mit dem Mann etwas anderes hätte tun sollen – irgendetwas, was ihn vor sich selbst schützt...« Er seufzte. »Bringen Sie ihn gleich zu mir, Maude; ich warte auf ihn.«
    »Ja, Doktor.«
    Harrison verspätete sich; zweifellos war diese Verspätung beabsichtigt und sollte eine Provokation sein. Er war ein kräftiger, schweratmender Mann in den Fünfzigern, und sein Kragen saß so eng um den fleischigen Hals, dass sein Gesicht ständig gerötet war. Nach Ansicht von Maude hatte der enge Kragen irgendetwas zu bedeuten; es war seine Art von Anpassung an...
    Aber sie wollte jetzt nicht an Krankheit denken. Sie wollte an Liebe denken, an zwölf Uhr und an ihre Verabredung mit Jimmy zum Mittagessen.
    Sie trafen sich in der spärlich beleuchteten Abgeschiedenheit eines Restaurants, das zu teuer war, um täglich hinzugehen. Er bestellte Martini für sie beide. Sie war unsicher, unnatürlich erregt und so glücklich, dass ihr Gesichtsausdruck die Blicke anderer Männer auf sich zog. Glücklich, bis der Kaffee serviert wurde und Jimmy sagte: »Ich möchte dich um etwas bitten, Maude. Obgleich ich annehme, dass du nicht begeistert sein wirst.«
    »Um was geht es? Was ist denn los, Jimmy?«
    »Es ist nicht so wichtig. Es geht lediglich um mich.«
    »Wovon redest du eigentlich?«
    »Ich spreche davon, dass wir heiraten wollen, ich, mit meinem fetten Bankkonto über fünfzig Dollar und ohne jede Chance. Ich habe so viel darüber nachgedacht, dass mir ganz übel geworden ist. Kennst du das? Man denkt über irgendetwas nach, und darüber wird einem dann übel. Mein Magen revoltiert, mein Kopf schmerzt...«
    Sie strich ihm über die Stirn.
    »Du Armer«, sagte sie besänftigend. »Warum hast du denn nichts gesagt? Du...«
    »Hier hilft nicht Aspirin, Maude. Hier hilft nur etwas ganz anderes. Eine Geldspritze, Maude, das würde helfen.«
    »Ich verstehe dich nicht.«
    Er beugte sich näher zu ihr.
    »Maude«, sagte er ruhig. »Was ich dir erzählt habe, war gelogen. Ich habe dir erzählt, dass ich ein wildes, ein bösartiges Kind gewesen bin. Das war gelogen. Ich war ein ganz gewöhnliches Kind. Und der Mensch, den ich geschildert habe, der Autos gestohlen und einen bewaffneten Raubüberfall verübt hat – das bin ich jetzt, Maude; das bin ich heute.«
    »Aber Jimmy, das ist doch nicht dein Ernst...«
    »Sieh mich an! Sehe ich aus, als wäre es mir nicht Ernst? Ich erzähle dir die Wahrheit über mich, Maude – Dinge, über die ich noch nie zu einem anderen Menschen gesprochen habe. Ich bin ein Tunichtgut. Ich bin ein gemeiner Lump, und zwar ein ganz billiger...«
    Das darfst du nicht sagen! Verstört blickte sie sich um, als könnten sie belauscht werden. »Das ist
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