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Ein Bündel Geschichten für lüsterne Leser

Ein Bündel Geschichten für lüsterne Leser

Titel: Ein Bündel Geschichten für lüsterne Leser
Autoren: Henry Slesar
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Kinder wegschnappen. Kein Mensch kommt dafür ins Gefängnis; es geht immer nur darum, dass das Gericht entscheidet, wem das Kind rechtmäßig zugesprochen wird.«
    »Aber die Birdwells werden die Polizei holen! Sie werden mich verklagen!«
    »Dafür werden sie sich viel zu große Sorgen machen. Wenn Sie sich Eileen geschnappt haben, werde ich mich einschalten und den Leuten schon Angst einjagen. Wenn Sie das Kind haben, haben Sie schon zu neun Zehnteln gewonnen; und Sie haben die Geburtsurkunde. Die besitzen Sie doch, nicht wahr?«
    »Aber sicher.«
    »Es kann nicht schiefgehen, Lottie«, sagte Arnes. »Die Vorarbeiten mache ich. Ich werde mir das Haus der Birdwells genau ansehen und herausfinden, wie Eileens Tag verläuft. Ich werde feststellen, wann und wo es am besten gemacht wird.« Er lachte unterdrückt. »Ich fingere die Sache schon für Sie zurecht.«
    Lottie erschauerte. »Reden Sie doch nicht so. Es klingt so kriminell.«
    »Verzeihung«, sagte Arnes scherzhaft. »Ich vergaß ganz, dass es sich hier um reine Mutterliebe handelt.«
    Vier Tage lang bekam Lottie von Arnes nichts zu sehen, und zwei dieser vier Tage verbrachte sie in einem alkoholischen Nebel. Dann, am Dienstagabend, erschien er plötzlich mit allen Einzelheiten des Planes.
    »Es ist ein Kinderspiel«, sagte er fröhlich. »Jeden Morgen wird das Mädchen vom Alten zur Schule gebracht, aber um drei fährt es dann allein mit dem Bus nach Hause. Ganz allein. Und das ist für uns der richtige Augenblick.«
    »Wie soll ich sie denn erkennen?«
    »Machen Sie sich darüber keine Gedanken – ich werde sie Ihnen zeigen. Sie brauchen dann bloß noch zur Bushaltestelle zu gehen und zu sagen, ihre Mama hätte Sie geschickt. Sie erzählen ihr, dass Sie die neue Putzfrau sind, die für Mrs. Birdwell arbeitet.«
    »Putzfrau?« fragte Lottie indigniert.
    »Sie sagen einfach, dass Sie gekommen seien, um sie zu ihrer Mutter in die Stadt zu bringen, verstehen Sie, weil die ihr ein paar neue Kleider kaufen wolle. Dann nehmen Sie sich ein Taxi und bringen das Mädchen in Ihre Wohnung. Aber nicht hierher«, sagte er und verzog den Mund. »Es wäre besser, wenn Sie aus diesem Loch auszögen und sich ein Hotelzimmer nähmen. Die Birdwells können diese Adresse im Telefonbuch leicht feststellen – so wie ich auch. Und ich möchte nicht, dass man weiß, wo Sie sind.«
    »Ich kann in das Majestic ziehen, weiter unten an der Straße.«
    »Tun Sie das, und zwar noch dieses Wochenende. Hinterlassen Sie aber hier nicht Ihre neue Adresse, und tragen Sie sich unter einem anderen Namen ein. Wenn das erledigt ist, können wir die Sache kommenden Montag erledigen.«
    »Wissen Sie was?« sagte Lottie kokett. »Bisher habe ich immer geglaubt, Anwälte wären dumm!«
    Am nächsten Tag zog Lottie aus ihrer bisherigen Pension um in das Hotel Majestic.
    Am Montag vormittag rief Arnes sie an und sagte, er werde sie um zwei vor ihrem Hotel abholen. Sie würden dann zu Eileens Schule fahren und den Wagen wenige Schritte von der Bushaltestelle entfernt parken. Sie zog sich ihr schönstes Kleid an, bürstete die Knoten aus ihrem krausen Haar und wartete um halb zwei, nüchtern, auf ihn. Mit schmeichelhaften Worten gratulierte er ihr; dann stiegen sie in seinen Wagen und fuhren los.
    Die Schule war eine Ziegelfestung, an drei Seiten von einem Spielplatz mit Betonboden umgeben. Sie warteten auf der anderen Straßenseite, bis die sonst so ruhige Gegend plötzlich von Kindern explodierte, die die Schulglocke um drei Uhr von ihren Fesseln befreit hatte. Lottie wurde nervös, als sie die wilde Flucht beobachtete. »Eine ganze Million Bälger!« sagte sie. »Wie soll ich sie da finden?«
    »Machen Sie sich keine Gedanken«, sagte Arnes.
    Mit Ausnahme der rennenden und kreischenden Kinder auf dem Spielplatz war die Schulstraße um Viertel nach drei wieder völlig verwaist. Auf den Bus zur Morris Avenue warteten vier Fahrgäste, darunter zwei Kinder, von denen eines ein Mädchen war.
    »Ich erkenne sie«, sagte Lottie, schwer atmend. »Die blonde mit der Stupsnase. Das also ist Eileen!«
    Er stieß die Wagentür auf. »Es ist besser, wenn Sie jetzt losgehen. In einer Stunde rufe ich Sie im Hotel an, um zu sehen, wie die Dinge stehen.«
    Lottie umklammerte ihre Handtasche und stieg aus. Sie ging über die Straße, den Blick auf das blonde Kind geheftet, das krummbeinig neben dem Halteschild stand. Ihr Herz klopfte, und der plötzliche Gedanke, dass sie ihn (ihn, diesen nichtsnutzigen Seemann und
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