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Ein bretonisches Erbe

Ein bretonisches Erbe

Titel: Ein bretonisches Erbe
Autoren: Valerie Menton
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zuckte die Schultern.
    „Es wird wohl so sein, jedenfalls wäre es plausibel. Du warst schließlich jahrelang sein liebstes Modell. Ich habe immer die Geduld bewundert, mit der du für ihn posiert hast. Mich hätte er nie dazu gekriegt und deinen Bruder ja auch nicht. Ein Versuch mit euch beiden endete im völligen Desaster.“
    Yuna erinnerte sich vage, dass ihr Großvater die Skulptur eines Kinderpärchens schaffen wollte, aber Yannik schon nach kurzer Zeit unruhig wurde und schließlich einfach aufgesprungen und an den Strand gelaufen war, wo ihn seine Freunde erwarteten. Ihr Opa hatte das Projekt eingestellt, was sie sehr schade gefunden hatte.
    „Ich habe es geliebt, für ihn Modell zu sitzen oder zu stehen...“ sagte sie und dachte bei sich, …und seinen Händen zuzuschauen wie sie aus dem harten Stein etwas unendlich Weiches und Zartes schufen. Einen Mund, eine Nase, sogar eine Haarsträhne, genau so wie sie ihr über die Stirn gefallen war, als der Wind vom Meer auffrischte. Sie hatte nie gezählt, wie viele seiner Skulpturen ihr Gesicht trugen, aber sie war sicher, dass ein großer Teil seines bildhauerischen Werkes ihr Heranwachsen dokumentierte. Jedenfalls bis zu ihrem fünfzehnten Lebensjahr. Das war das letzte Jahr, in dem sie mit ihrer Familie die Sommerferien in der Bretagne verbracht hatte.
    Kurz danach hatte ihr Großvater wieder geheiratet und war mit seiner wesentlich jüngeren Frau nach Nizza gezogen, angeblich, weil das dortige milde Klima für ihn auf seine alten Tage gesünder war, als in der rauhen Bretagne. Das behauptete jedenfalls Juliette.
    Aber so wie Yuna seine zweite Frau kennen gelernt hatte, war die wohl hauptsächlich daran interessiert, ihren Künstlergatten ihrem extraordinären Freundeskreis in Nizza vorzuführen. Sie dachte mit ziemlichem Zorn daran, dass Juliette ihn zu sich in den Süden gelockt hatte, obwohl er sicher viel lieber in An Triskell in der Bretagne geblieben wäre. Auch die Idee in Düsseldorf eine eigene Galerie aufzumachen, stammte natürlich von ihr und vermutlich war der Eröffnungsstress einfach zu viel für ihn gewesen. Jedenfalls erlitt er kurz nach der Eröffnung diesen schlimmen Zusammenbruch, von dem er sich nicht wieder erholt hatte.
    „Er hat dir einen Brief geschrieben“, sagte Ihr Vater in ihre Gedanken hinein und reichte ihn zu ihr herüber. „Hier.“
    Sie nahm ihn mit einer gewissen Nervosität aus seinen Händen entgegen. Lieber hätte sie ihn ja in aller Ruhe in der Abgeschiedenheit ihres ehemaligen Jugendzimmers gelesen, als unter den Augen ihres Vaters, denen nicht die kleinste Regung ihres Gemütes dabei entgehen würde. Aber wie es schien, erwartete er, dass sie es hier und sofort tat. Dabei war es ganz sicher nicht nur bloße Neugier bei ihm, sondern er sah es als Bestandteil des Rechtsgeschäftes, das er ganz offensichtlich möglichst schnell abschließen wollte.
    Nun gut, dachte sie, dann lese ich den Brief halt jetzt und er ist zufrieden. Und wenn sie ehrlich war, zerbarst Yuna auch selber fast vor Ungeduld, weil sie natürlich wissen wollte, was ihr Großvater ihr in seinem letzten Brief noch mitzuteilen hatte. Er datierte vom dreizehnten April des Jahres und war in seiner schwungvollen Handschrift auf Deutsch verfasst.

    Liebe Yuna,
    in meinem künstlerischen Werk und in meinem Herzen hast Du stets einen besonderen Platz eingenommen. Unsere gemeinsamen Sitzungen und die Gespräche dabei waren mit das Wertvollste in meinem Leben. Uns beide hat so vieles verbunden, unter anderem auch die Liebe zu der Landschaft, in der ich meine schönsten und bedeutendsten Skulpturen schuf.
    Juliette war eine wunderbare Erfahrung, die mein Leben verjüngt aber auch verkürzt hat. Sie hat meine Lebensenergie aufgebraucht und es blieb darum in den letzten Jahren davon nichts mehr übrig für meine Kunst. Das machte mich traurig, ist aber nun, da ich bald am Ende meines Weges angekommen bin, nicht mehr zu ändern. Juliette erbt ein großes Vermögen und ist selbst eine reiche Frau. Sie wird es verschmerzen, dass ich Dir mein Haus in der Bretagne vermache. Sie hat es nie gemocht und Du, das weiß sie, liebst es wie ich.
    Ich hatte es nach dem Umzug nach Nizza nie aufgegeben, denn der Ort in der Bretagne, in dem es steht, ist untrennbar mit unserer Familie verbunden.
    An Triskell wartet nun auf Dich, mein liebes Kind. Öffne Dich dem Geist der Landschaft und des Ortes. Dann wirst Du mit der Zeit lernen, dass die Dinge nicht immer sind, was sie
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