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Ein bretonisches Erbe

Ein bretonisches Erbe

Titel: Ein bretonisches Erbe
Autoren: Valerie Menton
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auch wieder mal dran sein und dann, wenn es so weit war, würde sie es ganz sicher merken und darüber staunen, wie anders es sich vermutlich anfühlte, anders als alles, was sie bisher erlebt hatte. Da musste doch noch mehr sein, wofür es sich zu leben lohnte, etwas, das tiefer ging als das mit Michael.

    Als freiberufliche Werbegrafikerin hatte sie ein leidliches Auskommen, wenngleich sie auch keine großen Sprünge machen konnte. Allerdings hatte sie nach ihrem Studium der Freien Künste mehr erwartet. Vom Leben, aber auch von sich selbst. Juliette hatte ihr den Floh ins Ohr gesetzt, dass sie eine großartige Karriere als Malerin vor sich hätte und wollte ihr Kontakte zu all den Galerien vermitteln, in denen ihr Großvater ausgestellt hatte. Aber als Yuna ihrem Großvater, bei einem seiner wenigen Deutschlandbesuche ein paar von Ihren Bildern zeigte, hatte er wohl schon nicht mehr gut gesehen, jedenfalls in aller Freundlichkeit ein eindeutiges Urteil vermieden.
    „Du musst an das glauben, was du tust“ hatte er ihr noch mal als einen seiner letzten Ratschläge mit auf den Weg gegeben. „Nur dann wirst du gut sein.“ Danach wusste sie mit großer Sicherheit, dass sie nicht gut war, nicht gut genug jedenfalls für den Kunstmarkt und nicht gut genug für sich selbst. Denn das mit dem Glauben an sich selbst, wollte ihr einfach nicht so ohne weiteres gelingen.
    Sie glaubte alles Mögliche, nur nicht an Selbstbetrug und darum auch nicht daran, dass sie jemals mit ihrer Malerei so viel Geld verdienen würde, dass sie davon leben konnte. Also packte sie Leinwand, Staffeleien und Farben fort, belegte ein paar Kurse zu Computergrafik und nahm den Job in der Werbeagentur an. Das war gut so, denn nun gehörte ihr ganz unverhofft ein Haus in Frankreich, das sie nur behalten konnte, wenn sie regelmäßig ihre Steuern dort zahlte. Sie musste lachen, weil sie sich vermutlich schon wieder mal völlig überflüssige Gedanken und Sorgen machte.
    Es lag wohl daran, dass der Energieschub, der ihren Körper eben aufgeputscht hatte, abflaute und eine bleierne Schwere in ihre Gliedmaßen kroch. Ihr begann der Steiß weh zu tun und die Finger, welche den Lenker und den Gasgriff umklammerten, schmerzten. Sie war in den letzten Jahren ein bequemes Lenkrad gewöhnt und obwohl ihr Auto klein und alt war, hielt sie es inzwischen doch für sehr viel komfortabler als ein Motorrad. Jedenfalls auf langen Strecken. Wobei sie ehrlich gesagt, solche Touren, wie die jetzige, selbst mit Michael nicht gemacht hatte. Michael war sowieso lieber mit seinen Bikerfreunden unterwegs. Da hatten Frauen keinen Stich.
    Wieder einmal zweifelte sie daran, dass ihr Leben bisher den richtigen Verlauf genommen hatte, aber bunt war es gewesen… nicht nur wegen der Farben auf ihrer Leinwand.

    Sie fuhr zum Tanken raus und suchte sich dann ein paar Kliometer weiter einem kleinen Parkplatz. Da legte sie sich einfach auf eine etwas abseits stehende Bank. Die Rastplätze in Frankreich sind damit recht gut ausgestattet. Picknicktische und Holzbänke, fest installiert. Sie war kurz vor Reims und die Luft war jetzt milder und trocken. Sie öffnete die Bikerjacke und den Bund der Hose und zog auch die Stiefel aus. Welch eine Wohltat. Sie rollte die abgewetzte Lederjacke zusammen und legte sie sich unter den Kopf. Über ihr leuchteten Sterne, unendlich viele, so klar, wie man sie über der Stadt nie sah. Sie erinnerten sie an den Nachthimmel über dem Meer. „Ich komme“, wisperte sie, „ich bringe euch Opa zurück“.
    Dann driftete sie weg.

    Wenig später fand Yuna sich im Büro ihres Vaters wieder, wo sie wie gelähmt auf einem hochlehnigen Polsterstuhl für die Besucher vor dem riesigen Schreibtisch saß und stammelte:
    „Aber warum? Warum vermacht Opa mir sein Haus und nicht dir, Papa? Du bist sein Sohn. Ich bin nur seine Enkelin.“
    Sie hatte die Botschaft noch immer nicht verdaut und sie verfolgte sie auch jetzt noch bis in ihre Träume.
    Wieder lächelte ihr Vater verhalten. „Vielleicht deswegen…“, sagte er und zog ein Foto aus dem Umschlag, welches sie übersehen hatte, und reichte es ihr. Es zeigte ein etwa fünf Jahre altes Mädchen mit langen blonden Haaren in einer ausgefransten Latzhose und mit einem Piratenkopftuch. Es stand Modell für einen bärtigen Künstler, der mit Hammer und Meißel an einer Skulptur arbeitete. Kein Zweifel, das Mädchen war sie.
    „Du meinst, er gibt es mir, weil ich ihm Modell gestanden habe?“
    Jürgen Lindberg
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