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Ein bretonisches Erbe

Ein bretonisches Erbe

Titel: Ein bretonisches Erbe
Autoren: Valerie Menton
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Urnenklauen gehörte - weiß Gott - nicht zu ihrem üblichen Business.

    Vor dem Friedhof im Schutze eines Gebüsches stand ein Motorrad, ein älteres Modell, aber gut gepflegt.
    Yuna öffnete die linke Seite der Gepäckbox, entnahm einen Helm und feste Motorradstiefel und entledigte sich der Sportschuhe. Nachdem sie diese verstaut hatte, verbarg sie auch noch den Rucksack mit der Urne darin. Dafür, dass sie die Überreste eines ausgewachsenen Menschen enthielt, war sie erstaunlich klein. Sie stülpte sich den Helm über ihr langes blondes Haar und schwang sich mit lässiger Eleganz auf den Sattel. Die Urnendiebin ließ die Maschine an, klappte mit dem Fuß den Ständer ein und gab röhrend eine Überdosis Gas. Das Motorrad schoss wie ein bockiges Pferd unter einem fremden Reiter nach vorne und verschwand mit verhallendem Dröhnen im Dunkel der Nacht.
    Ein diffuser Schimmer des Mondlichts fiel durch das Fenster der Friedhofskapelle auf die Schleifenbänder an einem besonders schönen Grabgesteck aus weißen Rosen und blauen Hortensien.
    Für meinen Opa Pierre von seiner Enkelin Yuna
    Dein Letzter Wille geschehe!

    Yuna lenkte das Motorrad in Richtung Autobahnzubringer. Die Nacht war klar und die Fahrbahn trocken. Wie es schien, hielt das Schicksal gnädig seine Hand über sie und ihre Mission stand unter einem günstigen Stern. Sie fuhr trotzdem vorsichtig, denn obwohl sie eine Zeit lang selber Motorrad gefahren und sogar mit einer Freundin bis zu den Äußeren Hebriden gedüst war, fehlte ihr nun doch etwas die Routine. Aber wo fehlte die nicht in ihrem wechselvollen, fast dreißigjährigen Leben, in dem sie sich stets für das Abenteuer und das Risiko und gegen Sicherheit und Gleichförmigkeit entschieden hatte?

    Sie hätte auch ihr kleines Auto nehmen können, aber als sie die Garage betrat, wurde ihr Blick sofort unwiderstehlich von dem dort geparkten Motorrad angezogen, mit dem ihr Bruder aus Berlin gekommen war, um am nächsten Morgen an der Beerdigung des Großvaters teilzunehmen. Er hatte es sich von einem Kumpel ausgeliehen und der Schlüssel steckte so einladend darin, dass sie spontan ihren Plan änderte. Die Verlockung war einfach zu groß, und ein Motorrad war natürlich viel schneller, als ihre alte Konservendose auf Rädern! Außerdem hatte es viel mehr Stil und sie sah sich damit bereits im Sonnenuntergang an der Steilküste der Pointe du Raz stehen, um die Urne ihres geliebten Großvaters ihrer letzten Bestimmung zu übergeben.
    Diese Vorstellung war derart emotional aufgeladen gewesen, dass die Vernunft dagegen nicht die geringste Chance hatte und Yuna den leichten Anflug eines Skrupels rasch wegwischte, ehe er zu rationalen Konsequenzen führen konnte.
    Es ist ja nur geborgt, dachte sie entschuldigend, in wenigen Tagen bringe ich es unversehrt zurück. Yannik kann auch mal etwas für seinen Großvater tun, wo er mir schon in der Beerdigungsfrage so in den Rücken gefallen ist.
    Sofort flog sie wieder der Ärger an, als sie an die schier endlose Diskussion darüber dachte, was mit der Asche ihres Großvaters geschehen sollte. Den Mund hatte sie sich fusselig geredet, um ihre Familie und insbesondere Juliette, die Witwe ihres Großvaters, davon zu überzeugen, dass man ihm seinen Letzten Willen erfüllen müsste. Aber alle, und völlig unerwartete auch ihr Bruder, hatten sich von Juliette einlullen lassen und sich von Yuna distanziert.
    Vermutlich aus reiner Bequemlichkeit, denn eine Beerdigung vor der eigenen Haustür war sehr viel einfacher zu organisieren und mit viel weniger Zeitaufwand verbunden, als ein entsprechendes Event in der nahezu 1600 Kilometer entfernten Bretagne.
    Nicht mal bei ihrer Ehre konnte Yuna sie packen. Sogar ihre Mutter verbündete sich, unverständlicher Weise, mit Großvaters Witwe, an der sie zuvor nicht ein gutes Haar gelassen hatte. Zu exaltiert, zu egoistisch und entschieden zu jung.
    „Großvater hat das Haus in der Bretagne doch schon lange aufgegeben, um mit seiner zweiten Frau in Nizza zu leben“, hatte sie doch tatsächlich zur Begründung gesagt. „Auch ein Umzug nach Düsseldorf war bereits geplant. Dass Großvater nun dort in der Nacht nach der Eröffnung der neuen Galerie gestorben ist, war nicht vorhersehbar, aber vielleicht schicksalhaft.“
    „Was soll daran schicksalhaft sein. Das war einfach zu viel Stress für ihn“, hatte Yuna eingeworfen, aber ihre Mutter gefiel sich darin, weiterhin ein geheimnisvolles Karma zu beschwören und meinte:
    „Wenn
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