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Ein bisschen blutig - Neue Gestaendnisse eines Kuechenchefs

Titel: Ein bisschen blutig - Neue Gestaendnisse eines Kuechenchefs
Autoren: Anthony Bourdain
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ihn in Geständnisse eines Küchenchefs sofort wieder. Natürlich ist er immer noch im Geschäft. Er ist Besitzer und Betreiber einer Kneipe im Finanzdistrikt, wo er, da bin ich mir sicher, gerade auf ein winziges Ausstattungsdetail starrt und überlegt, was er daran
verbessern könnte - oder er sitzt vor den Teilen einer zerlegten Eismaschine und versucht herauszufinden, wie er sie wieder zum Laufen kriegt, damit die Penner, die sie sonst reparieren, ihn nicht wieder abziehen können. Er mustert ganz unschuldig den Bewerber für die freie Stelle als Kellner und versucht, ein bisschen weniger schlau zu wirken, als er ist - um dann den Moment richtig auszukosten, wenn er die Falle zuschnappen lässt. Er sitzt an der Bar und misst den Abstand zwischen den Erdnussschüsselchen aus oder denkt über ein neues ausgefallenes Gericht für die Speisekarte nach oder genießt es einfach, soweit ihm das möglich ist, Bigfoot zu sein. Was bleibt ihm auch anderes übrig.
    Bis heute gibt es im West Village Kneipen, wo schon seit zwanzig Jahren der gleiche Typ am Zapfhahn steht. Man muss sich nur an einem ruhigen Nachmittag an die Bar setzen, ein oder zwei Bier trinken - und nach ein paar Bier mehr den Mann hinterm Tresen bitten, ein paar Geschichten über Bigfoot zu erzählen. Er kennt jede Menge solcher Geschichten.
     
     
    Mein alter Souschef Steven Tempel ging von New York nach Florida, arbeitete kurz für eine Unternehmenskantine (wie er den Urintest bestand, kann ich nur raten), kündigte, heiratete seine langjährige, leidgeprüfte Freundin, bekam mit ihr einen Sohn, trennte sich von ihr und zog in die Kleinstadt Speculator im Norden des Staates New York, wo er ein Lokal namens Logan’s eröffnete, benannt nach seinem Sohn. Obwohl Steven zu den besten und fähigsten Köchen gehört, mit denen ich je zusammengearbeitet habe, hatte er
schon immer erklärt, dass er eines Tages ein Diner eröffnen wolle - damit hat er (als einer der wenigen in meinem Buch) seinen Traum wahrgemacht.
    Ich sah mir die Website vom Logan’s an, weil ich wissen wollte, was er auf der Speisekarte hatte. Insgeheim hoffte ich auf ein paar Hinweise auf die Gerichte, die wir gemeinsam zubereitet, oder auf die Restaurantküchen, in denen wir zusammengearbeitet hatten. Steven hatte nie einen Hehl daraus gemacht, dass er keine großen kulinarischen Ambitionen hegte - ich erinnere mich auch noch lebhaft an das Zeug, das er sich einverleibte, oder das er für sich kochte, selbst wenn wir von Kaviar, frischen Trüffeln und bald aussterbenden Spezies umgeben waren. Trotzdem klammerte ich mich an die dämliche Vorstellung, dass zwischen den Quesadillas, Chicken Wings und Hamburgern auf der Karte vom Logan’s eine Erinnerung an frühere Zeiten - bei Pino, im Supper Club, Sullivan’s oder One Fifth - hervorlugen würde. Ich lächelte und freute mich, ein Ossobuco (das Steven immer richtig gut gemacht hatte) auf der Homepage zu finden, aber als ich auf die aktuelle Karte klickte, war es nicht mehr mit dabei, nur noch die klassischen, ganz vernünftigen Gerichte, die man in einer Sportsbar anbieten würde. Keine Spur von Stevens früheren Kochkünsten. Das hätte ich natürlich erwarten sollen. Er war beim Kochen nie sentimental gewesen. Und hatte noch nie das Gefühl gehabt, sich für irgendetwas rechtfertigen zu müssen.
    Von all den Menschen, die ich kannte, mit denen ich zusammengearbeitet und über die ich in Geständnisse eines Küchenchefs geschrieben habe, ist Steven - der nie zurückblickte
- womöglich einer der wenigen, die verstanden haben, wie es im Leben läuft.
     
     
    Als ich Adam, Nachname unbekannt, das letzte Mal sah, hatte er eine ehrliche Arbeit bei einem Unternehmen, das fertige Fonds und Soßen verkauft. Seltsam für einen Bäcker mit seinen Talenten, aber zu dem Zeitpunkt war es schon seltsam, dass er überhaupt eine Arbeit hatte, so gründlich hatte er sämtliche Brücken hinter sich abgebrochen. Diese Stelle behielt er für seine Verhältnisse ziemlich lange, vielleicht ein Jahr oder zwei, bevor er wieder in die Unterwelt dessen abtauchte, was Steven »die Arbeitslosennummer« nennt. Natürlich schuldet mir der Mistkerl noch Geld.
    Ich bin mir sicher, dass die Geschichte von Adam, Nachname unbekannt, eine passende Moral hat. Der Mann mit Inselbegabung, der das beste Brot backte, das wir alle je gegessen hatten. Das selbstzerstörerische Genie, das den eigenen Erfolg nicht zulassen konnte oder wollte. Der verlorene Sohn - unter vielen
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