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Ein bisschen blutig - Neue Gestaendnisse eines Kuechenchefs

Titel: Ein bisschen blutig - Neue Gestaendnisse eines Kuechenchefs
Autoren: Anthony Bourdain
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Danken möchte ich auch den Häuptern der anderen Familien aus New York und New Jersey, Carmen Cronio aus der Bronx und Brooklyn, Philip Tattaglia, Staten Island.«

    Ein veritables Mafiatreffen. Mittlerweile spricht sich am Tisch herum, was man uns servieren wird. Die Spannung wächst. Es folgen eine Begrüßung und ein Dankeschön an denjenigen, der die Spezialität, die uns dargeboten werden wird, beschafft und ins Land geschmuggelt hat.
    Zunächst folgen Ravioli in Brühe (herrlich) und ein Hasenpfeffer. Doch die Gänge driften an uns vorüber wie im Traum.
    Die Teller werden abgeräumt. Die Ober in Livree, bemüht, ein Lächeln zu unterdrücken, legen neue Gedecke auf. Unser Gastgeber erhebt sich, und ein Servierwagen mit dreizehn schmiedeeisernen Kokotten wird hereingefahren. In jeder liegt ein winziger, brutzelnder Vogel, mit Kopf, Schnabel und Füßen, die Innereien noch im winzigen runden Bäuchlein. Wir lehnen uns alle vor und drehen den Kopf in dieselbe Richtung, als unser Gastgeber die Vögelchen mit Armagnac übergießt - und anzündet. Das ist es. Der Grand Slam der raren und verbotenen Gerichte. Wenn diese Zusammenkunft namhafter Küchenchefs schon kein Anlass ist, mich zu kneifen! So ein Mahl bekommt man, verdammt noch mal, nur einmal im Leben - die meisten Sterblichen, auch in Frankreich, gar nicht! Was wir jetzt essen werden, ist dort wie hier verboten: Fettammer.
    Der Ortolan, auch Gartenammer genannt, Emberiza hortulana, ist ein finkenähnliches Vögelchen, das in Europa und Teilen Asiens heimisch ist und auf dem Schwarzmarkt bis zu 250 Dollar kostet. Die Art steht unter Schutz, weil ihre Nistmöglichkeiten schwinden und der Lebensraum schrumpft. Fang und Verkauf sind deshalb überall verboten. Der Ortolan ist außerdem ein Klassiker der französischen Landküche,
eine Delikatesse wahrscheinlich schon seit der Römerzeit. Der französische Präsident François Mitterrand soll, so eine berühmte Anekdote, auf seinem Sterbebett als letzte Mahlzeit eine Fettammer zu sich genommen haben; der schriftliche Bericht darüber zählt bis heute zu den opulentesten Werken der Küchenpornografie, die je zu Papier gebracht wurden. Die meisten Menschen empfänden es wohl als abstoßend: ein sterbenskranker alter Mann, der darum ringt, ein Häppchen brühheißer Vogelinnereien und Knöchelchen hinunterzuschlucken. Aber Küchenchefs macht das an, diese Beschreibung des Heiligen Grals, des einen Gerichts, das man einmal im Leben zu sich nehmen muss, wenn man guten Gewissens von sich behaupten will, ein wahrer Feinschmecker zu sein, ein Weltbürger, ein Spitzenkoch mit Gaumenerfahrung - einer, der weit herumgekommen ist.
    Es heißt, die Vögel werden in Netzen gefangen und durch das Ausstechen der Augen geblendet, um die Nahrungsaufnahme zu stimulieren. Ich bezweifle nicht, dass in früheren Zeiten tatsächlich so verfahren wurde. Angesichts der europäischen Arbeitsgesetze rechnet sich die Beschäftigung eines Augenausstechers heute jedoch nicht mehr. Eine einfache Decke oder ein Handtuch über dem Käfig ersetzt daher diese grausame Methode und sorgt dafür, dass sich der Ortolan unablässig mit Feigen, Hirse und Hafer vollfrisst.
    Wenn die Vögel lange genug gemästet wurden und sich die erwünschte Fettschicht angefressen haben, werden sie getötet, gerupft und gebraten. Oft hört man, die Vögel würden gar in Armagnac ertränkt, doch auch das ist ein Mythos. Ein kleiner Spritzer von dem Zeug, und der nunmehr krankhaft fettleibige Ortolan kippt um und ist mausetot.

    Die Flammen in den Kokotten verlöschen, und die Fettammern werden serviert, jedem Gast eine. Wir warten einen Moment, bis das Brutzeln von Fleisch und Fett ein wenig nachlässt. Wir sehen uns schmunzelnd an, legen uns dann alle gleichzeitig die Serviette über den Kopf - verbergen das Gesicht vor Gott - und nehmen den Vogel behutsam am heißen Schädel, wobei wir uns die Fingerspitzen verbrennen. Dann schieben wir ihn uns mit den Füßen voran in den Mund - nur Kopf und Schnabel schauen noch heraus.
    Es ist dunkel unter dem Tuch, und in dem Bemühen, das Geschmackserlebnis voll und ganz auszukosten, habe ich unwillkürlich die Augen geschlossen. Erst kommt die Haut und dann das Fett. Es ist heiß. So heiß, dass ich kurz und panisch ein- und ausatme wie ein Trompeter bei einem schnellen Musikstück, rund um den Ortolan puste, ihn schwungvoll mit der Zunge im Mund herumschiebe, damit ich mich nicht verbrenne. Ich horche, ob um mich herum das
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