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Ein bisschen blutig - Neue Gestaendnisse eines Kuechenchefs

Titel: Ein bisschen blutig - Neue Gestaendnisse eines Kuechenchefs
Autoren: Anthony Bourdain
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gleichfalls hungernden Menschen schon mehrfach nach Essbarem durchwühlt haben. Oft bleiben
ihnen nur die Plastiktüten, die in verarmten Gegenden, wo es kaum noch Hoffnung und schon gar keine Müllabfuhr gibt, allgegenwärtig sind. Die Plastiktüten sind natürlich unverdaulich, ballen sich im Lauf der Zeit in den Mägen der Kuh zusammen, bis sie schließlich langsam und qualvoll verreckt.
    Ich überließ meinen Freund diesem unerfreulichen Bild und endete in GROSSBUCHSTABEN mit der Aufforderung, dass er angesichts der unangenehmen und ärgerlich komplizierten Diskrepanz zwischen den Bedingungen, unter denen manche Menschen leben, und dem luxuriösen Dasein seiner geliebten tierischen Freunde vielleicht einmal zuerst an die Menschen denken sollte.
    Okay, meine Reaktion lässt sich damit vergleichen, dass man dem Barista, der versehentlich fettarme Milch anstelle der Sojamilch in die bestellte Latte gegeben hat, einen Baseballschläger über den Schädel zieht, aber ich war wirklich stinkwütend. Nicht auf meinen armen, ahnungslosen Freund, der eine solche Behandlung nicht verdient hat (und von dem ich seitdem nie wieder gehört habe), schließlich wollte er nur ein paar Tiere retten. Er hatte einfach das Pech, dass er ausgerechnet mich um Hilfe bat - zum völlig falschen Zeitpunkt. Ich war wütend, weil er mich an die ganze Scheiße erinnerte.
    Und ich bin immer noch wütend.
    Aber ich schweife ab.
    Heute, da ich ein ganz anderes und wesentlich komfortableres Leben führe, sehe ich die Dinge gelassener, quasi mit Weichzeichner. Ich suche nach der eigentlichen Ursache, einem gemeinsamen Nenner, der meinen automatisch
einsetzenden, instinktiven und reflexartigen Hass auf jeden erklärt, der im Fernsehen (oder in Filmen) kocht und den ich irgendwie als unwürdig betrachte.
    Was hat Guy Fieri mir je getan? Was geht es mich an, wenn alles, was Sandra Lee in ihrer Show kocht, aus der Dose kommt - oder von himmlischen Jungfrauen auf einem zirkoniumbeschichteten Schlitten aus der Toskana, der Provence oder dem blöden Walhalla herbeigebracht wird? Was spielt es für eine Rolle, ob Rachael Ray kochen kann oder nicht? Die Zuschauer mögen sie! Wo liegt mein Problem? Was soll’s, wenn die Kandidaten bei In Teufels Küche ganz offensichtlich nicht ganz dicht und hoffnungslose Trottel sind? Warum sich darüber aufregen?
    Aber ich rege mich auf.
    Ich würde es gern anders sehen.
    Als ich mit dem Kochen anfing - damals in den aufregenden, verrückten frühen Siebzigerjahren, als zugegebenermaßen auch noch niedrigere Standards galten, als es nur um Schnelligkeit, Durchhaltevermögen, die richtige Einstellung, Nehmerqualitäten und die Fähigkeit ging, jede selbst auferlegte Bestrafung auszuhalten -, ging man anders mit Essen um. Der Unterschied zwischen einem »Profikoch« und einem Hobbykoch war leicht zu erkennen: Der Profikoch behandelte die Lebensmittel viel gröber. (Ich rede hier nicht über das Lutèce oder das Four Seasons oder die anderen besseren Restaurants.) Die Köche warfen das Fleisch ein bisschen heftiger herum und schmissen den Fisch mit einem Schwung auf die Arbeitsplatte, dem es doch etwas an Zartgefühl mangelte. Es war Mode, so auszusehen, als wäre einem alles egal, während man das Essen mit einer Geschwindigkeit,
Effizienz und Beständigkeit zubereitete, die diesen Ausdruck widerlegten. Man erkannte diese Haltung an der lässigen Vertrautheit, mit der Metzger ruck, zuck ein Rind zerlegten, am coolen Gesichtsausdruck, der sagte: »Das kann ich im Schlaf.«
    Anders ausgedrückt: Weder ich noch die Leute, mit denen ich arbeitete - oder die ich bewunderte -, hatten »Respekt vor den Lebensmitteln«, wie es Köche heute gerne formulieren. Offen gesagt, waren wir richtig brutal. Ich weiß nicht, wann sich das bei mir änderte - etwa zu der Zeit, als ich anfing, mich aufzuspielen und Blödsinn aus dem Larousse Gastronomique von mir zu geben. Doch mit der Zeit veränderte sich meine Haltung tatsächlich, ohne dass ich es richtig bemerkte. Im mir festigte sich die Überzeugung, dass es falsch ist, Lebensmittel schlecht zu behandeln oder nicht zu respektieren, vor allem, wenn man es absichtlich macht. Es ist eine Sünde (falls es so etwas gibt), ein Verstoß gegen den Anstand und ein Bruch des Vertrags, den man mit der Welt und ihren Bewohnern geschlossen hat. Mit einem Wort: böse.
    Meine Reisen haben dieses Gefühl nur bestätigt.
    Ich bin mir sicher, ich bin nicht der Einzige, der fast körperliche Schmerzen
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