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Ein besonderer Junge

Ein besonderer Junge

Titel: Ein besonderer Junge
Autoren: dtv
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mitteilte   – alles andere als eine leichte Geste für ihn war.

 
    »Ah! Wie ich sehe, habt ihr euch schon miteinander bekannt gemacht! Und Iannis erlaubt, dass Sie ihn an der Hand halten, ausgezeichnet!«
    Helena begrüßte uns in der Küche, froh, uns beide, ihren Sohn und mich, in so gutem Einvernehmen zu sehen. Während sie mich befragte, ließ sie mich nicht aus den Augen, die dunkel leuchteten.
    »Und? Ist alles gut gegangen in der ersten Nacht? Ich hoffe, er hat Sie nicht gestört? Sein Schlaf ist nicht gerade ruhig.«
    Sie seufzte.
    »So wenig wie seine Tage übrigens!«
    Wie hätte ich ihr von einem Vorfall erzählen können, der mir vorkam wie aus einem Traum? Ich zog es vor zu schweigen. Vielleicht in der naiven Hoffnung, dass der Junge mir dafür dankbar sein würde, wie jeder Jugendliche, mit dem man sich verbündet. Vollkommen gleichgültig demgegenüber, stürzte sich Iannis auf seine Trinkschale mit Schokolade.
    Während des Frühstücks erläuterte Helena mir meine Aufgabe im Einzelnen. Bis jetzt sei sie nicht imstande gewesen, tagsüber zu arbeiten, da Iannis eine ständige Aufsicht benötige. Nur nachts habe er ihr Zeit gelassen, um mit ihrem Projekt voranzukommen, das habe sie erschöpft. Sie bat mich, ihrem Sohn Gesellschaft zu leisten, ihn auf andere Gedanken zu bringen, mit ihm spazieren zu gehen. Sie würde an den Tagen den Stab übernehmen, an denen ich nicht mehr könne.
    »Ich verlange nicht von Ihnen, dass sie ihn erziehen, ich habe es aufgegeben, obwohl ich länger darauf bestanden habe als sein Vater   … doch Sie werden sehen, mit ihm wird jede Beschäftigung, selbst die alltäglichste, zu einem Abenteuer!«
    Ob ich besondere Vorsichtsmaßnahmen treffen müsse, ob es etwas zu vermeiden gelte?
    »Ja, sicher, doch man kann es nicht vorhersehen: Was ihm heute Spaß macht, kann morgen sein Entsetzen hervorrufen   … Da Sie danach fragen, keine Dusche, das ist der Horror für ihn! Nur Sitzbäder. Was die Mahlzeiten angeht   … ich lasse es auf Sie zukommen. Oh! Auf der Toilette müssen Sie bei ihm bleiben, sonst kann es Stunden dauern!«
    Darauf folgte eine Reihe von Empfehlungen, von denen ich keine Einzelheiten im Gedächtnis behalten habe, aber Helena versicherte mir, sie stehe mir für jede Auskunft über ihren Sohn zur Verfügung. Sie werde mir eine Einkaufsliste geben, gemeinsam mit uns zu Mittag essen, das Abendessen jedoch allein bei ihrer Schreibmaschine einnehmen. Sie wolle sich von nun an ausschließlich ihrem Roman widmen.
    Um sie auf das Gebiet zu locken, das mir am Herzen lag, fragte ich nach dem Thema, doch sie antwortete, eine Art Aberglaube verbiete ihr, vor der Fertigstellung darüber zu sprechen. Erneut tauchte sie ihren Blick in meinen.
    »Doch Sie ahnen ja, worum es geht, da mein Mann Ihnen gesagt hat, welche Art von Büchern ich geschrieben habe!«
    Im Gegensatz zum Blick ihres Sohnes ging Helenas Blick nicht durch einen hindurch: Er wühlte einen im Innersten auf bis zum Unwohlsein.

 
    Iannis und ich kehrten in sein Zimmer zurück. Ich half ihm aus seinem Pyjama, dabei stellte ich fest, dass er noch den schmächtigen Körperbau eines Kindes besaß: vollkommen haarlos, hohle Brust, das Geschlecht eines kleinen Jungen. Ich nahm ihn an der Hand, um ihn ins Badezimmer zu bringen. Ohne die geringsten Schwierigkeiten setzte er sich in die Badewanne, wo ich ihn einzuseifen begann, nicht ohne eine gewisse Scheu beim Kontakt mit einem unbekannten Körper meines Geschlechts zu empfinden. Es machte ihm Spaß, von mir umsorgt zu werden, der Anflug eines Lächelns umspielte seine Lippen. Nachdem ich die Seife abgespült hatte, bat ich ihn, sich einen Augenblick zu gedulden, und ging zu dem Schrank im Flur, um ein Handtuch zu holen.
    Als ich zurückkam, saß Iannis nicht mehr in der Wanne. Die Schaumschicht und die ruhige Oberfläche ließen mich zuerst vermuten, dass er in meiner Abwesenheit aus dem Zimmer geschlüpft war. Ich eilte hin, um mich zu vergewissern, und mein Herz stockte, als ich mich über die Badewanne beugte und auf dem Wannengrund einen friedlichenErtrunkenen liegen sah, die Augen weit geöffnet, durch die Wasseroberfläche auf die Decke starrend. Nicht einmal das rätselhafte Lächeln war von seinem Gesicht verschwunden. Das Bild des Gespenstes in meinem Traum, in einer Wolke aus schillernden Blasen, überblendete die Szene. Panisch versuchte ich, Iannis aufzurichten, doch sein Körper machte sich schwer, seine Haut glitt mir aus den Händen bis zu
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