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Ein besonderer Junge

Ein besonderer Junge

Titel: Ein besonderer Junge
Autoren: dtv
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zweiten Teils der Strecke wuchs meine Ungeduld,bis endlich die Minigolfanlage und die Tennisplätze eingangs der Stadt auftauchten: Wir waren in Horville.
    Das Hôtel des Flots und seine altmodischen Zimmer mit den Toile-de-Jouy-Tapeten: Von unserem in der ersten Etage sah man die Segel der Boote. Durch einen Paravent vom Bett meiner Eltern getrennt, das kleine Bad und mein Bett. In der Bar trafen sich die Gäste zum Aperitif, während die Billardkugeln auf dem Filztuch zusammenknallten. Die Serviettenfächer trugen Etiketten mit den Namen der Pensionsgäste. Die Glaswand des Speisesaals spendete den Familien, die in kurzen Hosen Samtkrabben und Meeresspinnen pulten, ein fahles Sommerlicht.
    Der Hotelpark: Sein mit Erde aufgefüllter Brunnen floss vor Geranien über. Nach den Erzählungen meiner Eltern hatte ich hier, zwischen den Rosensträuchern, der Schaukel und dem kleinen Betonring, der den Spielplatz begrenzte, meine ersten Schritte gemacht,
sehr vorsichtig
, wie mein Vater hinzufügte. Ganz am Ende, hinter den Haselnusssträuchern, verbarg sich unter Spalieräpfeln eine Mauer. In ihrer Mitte befand sich eine mit einem Schloss gesicherte Tür, die den Zugang zu den Ruinen verwehrte. Über dem Mauerkamm, der mit Flaschenscherben gespickt war, konnte man die Kuppe einer steilen Anhöhe sehen, die vollständig von der Vegetation überwuchert war: die Ruinen des Saut-du-Loup-Parks.
    Der Name des Badeorts, der meinen Blick auf das Stellenangebot gelenkt hatte, rief mir jene Zeit meines Lebens wie auch ihre Orte wieder in Erinnerung. Ich hatte es für eine großartige Zeit gehalten, die Erinnerung wurde von Trauerüberschattet: Ließen sich die Sommer meiner Kindheit in diese Klischees packen, die ebenso trübe und verhangen waren wie der Himmel von Horville?

 
    »Sie kennen Horville? Das ist ein Pluspunkt. Wenn Iannis Ihnen entwischt, wissen Sie vielleicht, wo Sie ihn wiederfinden!«
    Auf dem Umweg über seine Sekretärin hatte ich sehr schnell einen Termin mit dem Vater des
besonderen
Jungen bekommen. Hoch oben in seinem Büro im obersten Stock der Tour Nobel thronte der Personalchef über den Baustellen der Bürostadt La Défense und jenseits davon über ganz Paris, das unter einem feinen Nebelschleier vor sich hin döste.
    »Sie sind nicht zufällig Student der Psychologie?«
    Ich antwortete ihm, ich hätte dieses Fach nach einem Jahr aufgegeben.
    »Ein zweiter Pluspunkt! Ich habe keine Lust, aus meinem Sohn ein Studienobjekt zu machen! Ich habe genug Blödsinn über ihn gehört! Er ist anders, das ist alles, man muss ihm nicht unbedingt ein Etikett verpassen   …«
    Sein Anzug, seine Brille, sein entschiedener Ton erinnerten mich an meinen Vater.
    »Ich möchte nur sicher sein, dass Iannis in guten Händen ist. Seine Mutter ist zu beschäftigt, um die ganze Zeit auf ihn aufzupassen, sie möchte ihren Kopf frei haben zum Schreiben.«
    Sogleich interessiert erkundigte ich mich, ob seine Frau Schriftstellerin sei. Er deutete eine unbestimmte Handbewegung an, mit der er die schriftstellerische Betätigung seiner Frau als belanglos auszuweisen schien.
    »Sie sind zu jung, um sie gelesen zu haben, aber sie hatte einen kleinen Skandalerfolg mit   … sagen wir
speziellen
Romanen.«
    Was meinte er mit
speziell
?
    »Meine Frau war ihrer Zeit voraus, sie hat sehr darunter gelitten, in der Verlagswelt keine Anerkennung zu finden.«
    Er stieß einen Seufzer aus.
    »Dann kamen die Schwierigkeiten mit Iannis dazu, sie hat alles aufgegeben, um sich ihm zu widmen, doch jetzt, da sich die Sitten geändert haben, würde sie gerne wieder schreiben. Sie glaubt, dass ihre Bücher heute besser angenommen würden.«
    Er musterte mich schweigend.
    »Deshalb sind Sie hier, junger Mann. Doch zuvor müssen wir uns über einige grundlegende Dinge verständigen.«
    Angesichts meiner hochgezogenen Augenbraue fuhr er fort.
    »Sie gehören hoffentlich nicht zu jenen jungen Achtundsechzigern, die alle Prinzipien ablehnen, die wir ihnen eingetrichtert haben? Die Grundprinzipien sind Werte, auf denen man sein Leben aufbaut. Auch bei der Einstellungvon Personal legt man sie zugrunde. Achtung vor dem Leben, Achtung vor dem anderen. Vollkommene Ablehnung jeder Demütigung, insbesondere vor Dritten.«
    Wie mein Vater, ganz mein Vater. Ich dachte wieder an die Tafel, die er einst in der Küche aufgehängt hatte, um die Regeln für ein gutes Gelingen des Familienlebens festzulegen. Mein Blick musste mein Gegenüber davon überzeugt haben, dass ich
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