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Ein besonderer Junge

Ein besonderer Junge

Titel: Ein besonderer Junge
Autoren: dtv
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von Iannis erzählen.
    »Besser, Sie lernen ihn selbst kennen, was ich Ihnen sagen könnte, würde Sie beeinflussen, und nicht unbedingt in einem guten Sinn. Ich habe ihm von Ihrem Kommen erzählt, er weiß, wo Sie schlafen werden, er wird nicht erstaunt sein, Sie nach dem Aufwachen im Gästezimmer anzutreffen.«
    Wie hatte ihr Sohn reagiert? Sie stieß ein kurzes Lachen aus, das in einen Hustenanfall mündete.
    »Man weiß nie, wie Iannis reagiert. Auf alle Fälle nicht wie wir.«
    Was hatte er denn dazu gesagt?
    »Unser Sohn spricht nicht. Hat mein Mann Sie nicht darüber unterrichtet? Worüber haben Sie beide eigentlich gesprochen? Ah! Sicher über Horville, Sie kennen es ja gut, hat er mir gesagt.«
    Ich erzählte Helena von dem Gefühl, das ich hatte, als ich den Strand wiedersah, an dem ich so viele Sommer zugebracht hatte.
    »Hat Ihnen Jérôme von meinem Projekt erzählt? Dass ich Zeit brauche, um zu schreiben?«, unterbrach sie mich.
    Als ich ihr sagte, ich würde gerne lesen, erkundigte sie sich nach meinen Lieblingsbüchern. Bei meinen bevorzugten Autoren blitzte ein ironischer Schimmer in ihren Augen auf:
    »Sie sind ja sehr klassisch in Ihrer Wahl! Hat mein Mann Ihnen gesagt, welche Art von Romanen ich verfasse?«
    Ohne mir die Zeit für eine Antwort zu lassen, fuhr sie fort:
    »Spezielle sicherlich! Wahrscheinlich hat er Ihnen gesagt, dass ich spezielle Romane schreibe. So nennt Jérôme erotische Bücher   … Und wie ich annehme, hat er großen Wert auf seine Grundsätze gelegt   …«
    Während sie die letzten Worte aussprach, machte sie eine vage Handbewegung ähnlich der, die ihr Mann gemacht hatte, als er die literarische Tätigkeit seiner Frau erwähnte. Nachdenklich machte sie eine Pause.
    »Unser Sohn ist ganz und gar unfähig zu den menschlichen Beziehungen, die sein Vater zum Beruf hat, und er kann weder lesen noch schreiben, obwohl seine MutterSchriftstellerin ist! Mehr noch, Iannis spricht nicht. Doch er hat zahlreiche Mittel, um sich verständlich zu machen   … Nicht immer angemessene Mittel, wie man einräumen muss, vor allen Dingen nicht bei einem sechzehnjährigen Jungen!«
    Sie seufzte lange, dann erkundigte sie sich nach meinem Studium und meiner bisherigen Ausbildung; ich fasste alles für sie zusammen.
    »Unentschlossen, stimmt’s?«
    Sie hob ihr Glas, während sie mich mit ihrem tiefen Blick fixierte.
    »Und Liebschaften?«, warf sie unvermittelt ein, um sogleich hinzuzufügen:
    »Das sollte ein Scherz ein!«
    Die Schriftstellerin hatte zweifellos wieder die Oberhand gewonnen, sie lauerte auf Geschichten, die zu ihren Fiktionen beitragen könnten. Mir fielen die beiden Mädchen ein, mit denen ich dieses Jahr ausgegangen war und die ich so schnell wieder vergessen hatte. Beide hatten mit mir Schluss gemacht unter dem Vorwand, ich geize mit meinen Gefühlen, sei zu verschlossen. Sie hatten mich nicht als
sonderbar
bezeichnet, doch genau darauf lief es hinaus.
    Die Ereignisse des Tages saßen mir in den Knochen, ich sackte langsam zusammen. Helena musste es bemerkt haben, denn sie schlug mir vor, schlafen zu gehen. Ich tat es gerne, doch als ich die Treppe hochzusteigen begann, erschien es mir mit einem Mal schwierig, neben dem Jungen einzuschlafen, den ich betreuen sollte, ohne sein Gesicht zu kennen. Ich fragte seine Mutter, ob ich ihn sehen könne,und sei es nur für einen kurzen Moment, und sie willigte ein. Wieder ging sie mir auf der Treppe voraus und durch mein künftiges Zimmer, um vorsichtig die Tür zwischen den beiden Zimmern zu öffnen. Sie gab mir ein Zeichen, dann ging sie im Dunkeln bis zu einem Nachttisch, um die Nachtlampe anzuknipsen, die ein blaues Licht verbreitete.

 
    Ein Narziss durch und durch, der sich über sein Spiegelbild beugt. Der alles auf sich zurückführt, auf seinen riesigen Mund, der sich die Welt schnappt und alles verschlingt, was ihn umgibt. Kraft ohnegleichen, zusammengekauert in einem unvollendeten Körper, grenzenlose Lust, die sich in eine unvollständige Seele schmiegt: ein Kind, gestern erst geboren, das schon allein sein wollte und dennoch nichts ist ohne den anderen.
     
    In Decken eingewickelt zeichnete sich seine Gestalt im Bett ab. Iannis schlief in der Embryonalstellung, mit zwei Fingern im Mund, und ich sah von ihm nur ein feines Profil, das sich vom Kopfkissen abhob. Eine Kragenspitze seines Pyjamas lag über seiner Wange, und allein die sehr ausgeprägte Falte zwischen seinen Brauen deutete auf die Anspannung hin, die sich
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