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Ein Baum wächst übers Dach

Ein Baum wächst übers Dach

Titel: Ein Baum wächst übers Dach
Autoren: Isabella Nadolny
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windgeschützteste Stelle der Veranda, und er selbst kam auf Mamas Bettvorleger. Mama meinte, er sei noch zu klein, um allein zu schlafen. Er fand das auch und küßte ihr manchmal nachts dankbar die Hand, die über den Bettrand herunterhing.
    Eine Katze brauchten wir nicht zu kaufen, wir bekamen sie geschenkt. Sie war gelb-weiß getigert, was bei den Hiesigen als «rot» bezeichnet wird. Nun war alles blond, einschließlich des Dienstmädchens. Im Laufe der Jahre dunkelten wir nach — das Haus zuerst.
    Das Einpflanzen der Ligusterstauden wurde durch das Vorhandensein der beiden Tiere sehr erschwert. Zwei Mitglieder der Familie fielen ständig aus, weil sie den Hund, beziehungsweise die Katze auf dem Schoß halten mußten. Die beiden waren infolge ihrer Jugend überaus aufnahmebereit und nach längeren Inspektionstouren im und um das Haus an Nerven und Seele ganz herunter. Sie hatten nach all dem Herzklopfen, Erschrecken und vor Neugier Zittern den Schlaf dringend nötig, schliefen aber nur auf dem Schoß, bei einer Temperatur von 37,3 Grad Menschenwärme, denn sie vermißten ihre Geschwister im heugepolsterten Korb.
    Wer nicht mit dem Halten der Haustiere beschäftigt war, half Ligusterstauden einsetzen. Schön gleichmäßig sollten sie eingepflanzt werden, ringsherum um das, was man füglich als Garten bezeichnen durfte. Bruder Leo trat die Pflänzchen fest und betrachtete sie kritisch. Einige Leute hatten ihm gesagt, wir sollten sie tüchtig mit Jauche begießen, andere wieder, wir sollten sie nur ja nicht düngen, dann schössen sie so ins Holz. Wir lasen im Robinson Crusoe nach, bei dem sie ja so schnell wuchsen, daß sie binnen kürzester Zeit zu regelrechten Palisaden wurden. Über Düngung stand dort nichts, auch meinte Bruder Leo, es handle sich bestimmt um eine pazifische Abart des Äquatorial-Ligusters. Wir zählten an den Knöpfen ab und begossen die Ostseite der Hecke mit Jauche und die Westseite nicht. Heute sieht man keinen Unterschied mehr. Der Liguster wuchs sowohl im Osten als auch im Westen furchtbar langsam und krümmte sich, ängstlich seine Zweige ineinanderflechtend, vom Winde weg, der vom See gegen ihn anblies. Obwohl Mama gegen Gemüseanbau stimmte, konnten wir es nicht lassen und legten ein «gemischtes Beet» an. Wir fanden es zu nett, mit dem Zeigefinger die warme, sommerliche Erde am Bauch zu kratzen und irgendwelche Körnchen in Rinnen zu streuen. Es war uns nicht so wichtig, ob und was dann kam. Manchmal jätete ein anderer es auch wieder aus. Die Rettiche, die Leo und ich anbauten, waren einmalig: dünne, verknorpelte, brennend scharfe Gebilde, die man mit viel Salz erst leuchtenden und dann tränenden Auges hinunterwürgte. Wir setzten auch zwei Spalierbirnen ans Haus. Sie trugen innerhalb der ersten fünfzehn Jahre insgesamt fünfundzwanzig Birnen, und Leo rechnete aus, wieviel das in hundert Jahren ausmache. Papa sagte trocken, ihm mache das gar nichts aus, denn es seien von Anfang an keine Williams Butterbirnen gewesen, sondern höchstens Maiers Mehlbirnen. An geeigneten Tagen rissen Mama und Leo in den Wäldern und stillen, verschwiegenen Strandbuchten allerlei Gestrüpp aus, das Seehams klimatische Bedingungen von klein auf gewohnt war und daher auch innerhalb unseres Grund und Bodens gedeihen mußte: Weiden, Birken und einen Haselnußstrauch. Während Goldregen, Jasmin und Flieder aus unerfindlichen Gründen immer wieder eingingen, machte uns der Haselnußstrauch viel Freude, weil er so rasch buschig wurde. Schon bald konnte man sich dahinter in die Sonne legen und tief im Grase versteckt die Kommentare der Spaziergänger an Sommertagen anhören.
    «Sengs, dös Heisl da? A Ruß hat’s baut! — Na, koa Ruß is er net. — Freili is er a Ruß, hod er ja selm g’sagt, daß er vo Moskau is. — Mei, kennst du denn den net? Der is ja oiwei schon herkemma. Scho vor’n Kriag. — So. A scheens Heisl, ganz aus Hoiz. Aber warm. Hoaßt’s.»
    Das Tännchen, von Bruder Leo irgendwo im Staatsforst entwendet, wuchs so langsam, daß einer den anderen beschuldigte, es hohl gesetzt zu haben. Am schnellsten wuchsen der Hund und die Katze, sie wurden zusammen groß. Der Hund, Ulf gerufen, holte sich die Katze zum Spielen und knutschte sie liebevoll von vorne bis hinten durch, was sicherlich gut für ihre Verdauung war. Sie legte dabei die Vorderpfoten watschenbereit vor seine Ohren, und wenn er es zu schlimm trieb, wischte sie ihm ein paar. Er nahm sie auch ins Maul und trug sie herum. Als
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