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Ein Baum wächst übers Dach

Ein Baum wächst übers Dach

Titel: Ein Baum wächst übers Dach
Autoren: Isabella Nadolny
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funktionierten die eingebauten Waschtische und übrigen Wasserspülungen wie bei anderen Leuten. Dem Brunnen selbst, der mit einer schweren Steinplatte bedeckt in einer Grundstücksecke lag, wagte ich mich aus Respekt nicht zu nähern. Er schwieg und spendete Wasser. Ganz selten nur ließ er durch das Steigrohr der Pumpe ein kurzes Glucksen hören, es war, als ob Undine rülpste. Sonst pflegten wir keinerlei Beziehungen zu ihm bis zu dem Tage, an dem das Wasser plötzlich nicht mehr hinauf wollte. Aber das ist eine spätere Geschichte.
    Das Mädchen Emma, ursprünglich zum Kochen eingeteilt, wurde mit so vielen anderen Arbeiten betraut, daß sie immer erst in die Küche stürzte, wenn es schon viel zu spät war, den Herd anzuheizen. Da sie in der Schule keine Chemie gelernt hatte, war sie der Meinung, man könne die verlorene Zeit durch größere Hitze wettmachen, und stopfte den Herd so voller zerbrochener Schindeln, Tannenzapfen und Holzabfälle, daß seine Platte ins Glühen kam. Um in der kleinen Küche am Leben zu bleiben, mußte sie dann natürlich die Tür, die ins Freie führte, öffnen, und dadurch kamen kolossal viele Fliegen und Bremsen herein. Es war wie in einem Stall. Mama machte die Tür dann wieder zu. Mit dem stummen Kampf um die Küchentür waren Mama und Emma die Mittagszeit über beschäftigt.
    Hinter dieser Tür begann jener Teil unseres Anwesens, den Mama als «Hof» bezeichnete. Aus dieser Vokabel sprachen noch die weiten Räume ihrer Kindheit, Stallungen und Wirtschaftsgebäude. Bei uns bestand der Hof aus einem alten Tisch, der den Versuch machte, sich regengeschützt unter das vorhängende Dach zu schmiegen, aus den Betondeckeln der Abwassergruben, einem Stapel Schindeln zum Ausflicken des Daches und dem Eingang zum Schuppen, der unsere Räder enthielt. Der Schuppen ließ sich somit zur Not unter Stallungen einrechnen, denn die Fahrräder waren fast das Wichtigste für Seeham und nähere Umgebung.
    Leo, Papa und ich trugen den Aushubhaufen ab und verteilten ihn hübsch auf dem Grundstück. Die Erde wurde davon nicht besser, es blieb sauerer alter Torfboden. Im ersten Enthusiasmus des freigelassenen Städters wollte nun jeder etwas anpflanzen. Papa war für Stangenbohnen, der Rest der Familie schwankte zwischen Radieschen Marke Ostergruß und Maréchal-Niel-Rosen. Alle aber waren sich einig über eine Hecke. Wir brauchten eine hohe, dichte Hecke, hinter der wir beim Sonnenbaden schließlich auch einmal die rosa Hemdträger herunterstreifen durften. Die Landesbräuche waren in punkto Sittlichkeit nämlich sehr streng, und wir hatten die Eingeborenen lieb und wollten sie nicht kränken. Damals wäre es niemandem eingefallen, im Badeanzug ohne langen Mantel die fünfzig Schritt von unserer Haustür zum Strand hinunterzugehen. Mir fiel es im ersten Sommer leider einmal ein, und gerüchteweise verlautete, daß die fünf Söhne unseres am See gelegenen Nachbarn im Anschluß an mein Vorüberwandeln beichten gehen mußten.
    Dies mochte eine böswillige Verdrehung der Tatsachen sein, eine Hecke jedoch mußte heran. Leo und ich radelten in die Kreisstadt und kauften Ligusterstauden ein. Ein Pferdefuhrwerk, der Bote Seehams, der unter seiner Plane Öfen und Kunstdünger, Matratzen und lebende Hühner transportierte, kam später mit ihnen angezockelt. Die Stauden wurden im Schatten in die Erde geschlagen und sollten am nächsten Tag gepflanzt werden.
    Am nächsten Tag regnete es. Mama, die grundsätzlich nur die gute Seite der Dinge sah, meinte, es sei nun so köstlich reine Luft, band entschlossen einen Schal um den Kopf und ging vor uns her ins Nachbardorf. Sie hatte gehört, dort gäbe es einen Wurf junger Wolfshunde. Wir stapften schweigend hinter ihr drein. Nach einer guten Stunde kamen wir zu einem Hof. Die Wolfshündin dort war sehr schön, die Kleinen undefinierbare Wollknäuel.
    «Wer ist denn der Vater?» fragte Mama.
    «Der Vater», sagte die Bäuerin vorsichtig, «der ist auch ein recht braver Hund.»
    Mama dankte ihr. Wir kehrten um, eine Stunde weit durch den Regen, unverrichteter Dinge. In Fragen der Rassereinheit war Mama nicht gewillt, Kompromisse zu schließen.
    Zwei Tage darauf kauften wir einen wirklichen kleinen Schäferhund, so blond wie wir und das Haus. Er saß verloren mitten im Zimmer, kroch manchmal unter die Couch und machte prasselnd einen kleinen See. Er schien darüber selbst so unglücklich, daß er sehr lieb getröstet werden mußte. Seine Hütte kam an die
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