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Eifler Zorn

Eifler Zorn

Titel: Eifler Zorn
Autoren: Elke Pistor
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Wir sind so
schnell gekommen, wie es uns unsere Arbeit erlaubt hat.« Ich unterdrückte ein
Grinsen. »Herr Hilgers darf in seiner Wohnung die Musik hören, die ihm gefällt,
auch wenn Sie sie nicht mögen.«
    Die kleine Frau mit den
sorgfältig ondulierten Löckchen bebte vor Entrüstung bis in die letzte
Haarspitze. Ihre Lippen bewegten sich auf der Suche nach Worten.
    »Sie haben die Polizei in
dieser Woche schon zum dritten Mal gerufen, weil angeblich die Musik zu laut
war. Die Kollegen haben bereits mit Herrn Hilgers gesprochen, und er hat
versprochen, die Musik immer nur so laut zu stellen, dass sie nur in seiner
Wohnung zu hören ist. Und wie es aussieht, hält er sich auch daran.«
    »Der lüch doch. Wenn ihr weg
sett, Frau Wachtmeister, dann iss dat Jejaule em Rubbeldidupp at wedder laut.«
    Ich sah sie zweifelnd an.
Marc Hilgers hatte keinen schlechten Eindruck auf mich gemacht, als ich bei ihm
geklingelt und nachgefragt hatte, im Gegenteil. Er schien freundlich und
zuvorkommend und mit der nötigen Spur Geduld ausgerüstet zu sein, wie man sie
älteren Damen wie seiner Nachbarin gegenüber gut gebrauchen konnte. Gertrud
Jansen lebte allein, und ich hatte den Verdacht, dass sie jede Möglichkeit
ergriff, Kontakt zu anderen Menschen zu bekommen, egal, auf welche Art und
Weise. In dem kleinen, abgelegenen Höhendorf in der Nähe von Gemünd wohnten
gerade mal dreihundert Leute. Wenn man die abzog, die tagsüber zur Arbeit
fuhren, und die Kinder, die vormittags die Schule besuchten, konnte ich mir gut
vorstellen, dass sie hier nicht viel Gesellschaft fand. Ein Besuch der Polizei
stellte in ihrem Tagesablauf mit Sicherheit ein echtes Highlight dar. Aber
Senioren-Entertainment war nicht unsere Aufgabe, auch wenn ich mit jedem Monat,
den ich meinen Dienst auf der Schleidener Wache tat, mehr das Gefühl hatte, als
eine Art Bürgerbetreuerin zu arbeiten. Die meisten Delikte des Kreises passierten,
wenn man der Statistik glauben konnte, in der Stadt Euskirchen selbst, und was
sich in Schleiden und den umliegenden Orten abspielte, beschränkte sich zumeist
auf Fälle wie diesen. Die richtigen Täter, die uns in Schleiden beehrten, waren
auf unserer Dienststelle keine Unbekannten. »Jahrelange Geschäftsbeziehung«
nannte man das in anderen Branchen. Mir war es recht. Über zwanzig Jahre bei
der Kölner Mordkommission hatten mich mein neues, mehr oder minder ruhiges
Leben als Schutzpolizistin in der Eifel schätzen gelehrt.
    »Wir können ja kurz
reinkommen und prüfen, wie laut es in Ihrer Wohnung ist«, bot ich ihr an.
    »Du denkst an die Sache oben
im Wald?«, erinnerte mich Sandra.
    »Ja, ja.«
    »So wie der Förster sich
anhörte, solltest du ihn dringend zurückrufen.« Sandra schob ihren Ärmel hoch
und drehte das Ziffernblatt ihrer Armbanduhr so, dass ich es sehen konnte. »Das
war vor zwei Stunden, Ina. Jetzt haben die in der Nationalparkverwaltung
bestimmt Feierabend.« Ihr Handgelenk war rot und angeschwollen. Das Band der
Uhr schnitt ins Fleisch, aber es schien sie nicht zu stören.
    »Ich habe seine
Handynummer«, gab ich zur Antwort und murmelte leise: »Und seine Privatnummer
auch.« Wobei ich nicht wusste, ob ihr dieser Umstand nicht sowieso bekannt war.
Von mir hatte sie es jedenfalls nicht. Unsere gemeinsamen Dienste hatten sich
bisher auf wenige Schichten beschränkt, und wenn wir doch zusammen Streife
fuhren oder auf der Wache Dienst taten, kamen wir über fachliches Geplänkel
meist nicht hinaus. Freundlich und kollegial, aber unpersönlich. Ich wusste
nicht viel von Sandra. Ungefähr in meinem Alter, lebte sie doch ein komplett
anderes Leben als ich. Verheiratet, eine Tochter. Familienglück. Dass meine
chaotische und nicht mehr existierende Beziehung zu Steffen Ettelscheid, dem
»Förster«, wie sie gesagt hatte, Gesprächsthema am Kobler’schen Abendbrottisch
war, wagte ich zu bezweifeln. Im Gegenteil. Oft hatte ich das Gefühl, Sandra
grenzte sich bewusst von mir ab. Misstraute mir. Jetzt zuckte sie mit den
Schultern, nickte, und wir folgten Frau Jansen durch den engen Flur in ihr
Wohnzimmer.
    Innen erwartete uns
plüschig-rustikale Gemütlichkeit und eine auf Hochtouren laufende Heizung. Alle
Vorurteile, die gegenüber älteren Damen je gesammelt worden waren, fanden hier
ihre Bestätigung. Ein riesiger, hochfloriger Perserteppich füllte den Raum aus
und hielt die Sitzgarnitur zusammen. Häkeldeckchen in Pastellfarben bevölkerten
Sideboard, Kommoden und, in größerer Form, die Sofalehnen.
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