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Eifler Zorn

Eifler Zorn

Titel: Eifler Zorn
Autoren: Elke Pistor
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Alpenveilchen
stritten sich mit Kakteen und kleinen Porzellanfiguren auf der Fensterbank um
die letzten Reste des Lichtes, das durch die dicht gewebten Gardinen und die
schweren Samtstores ins Zimmer sickerte. Von schwarzen
Sechzigerjahre-Hornbrillen gezeichnete Kindergesichter hinter zu langen Ponys
ließen ihre mittlerweile erwachsen gewordenen Träger vermutlich bei jedem
Besuch beim Anblick der Fotos an den Wänden erschaudern. Ich lockerte den
Kragen meiner Uniformbluse gegen die allgegenwärtige Enge und spürte, wie die
Hitze sich bis unter meine Achseln ausbreitete. Bitte nicht schon wieder! Seit
einigen Wochen kämpfte ich dagegen an. Zuerst hatte ich die Hitzewellen für
einen Grippevirus gehalten, mich aber, als es sich nicht besserte, den
Tatsachen stellen und schauen müssen, wie ich damit klarkam. Wechseljahre.
Hurra. Zum Glück konnte man mit der Uniform eine Art Zwiebelsystem
praktizieren. Ich zog die Jacke aus. Besser.
    Eine sehr dünne grau
gestromerte Katze lag lang ausgestreckt quer über dem Sofa neben der Tür und
erhob deutlich ihre Besitzansprüche. Ihre dunkel umrandeten Augen blitzten mich
an. Ich beugte mich vor, ließ sie an meinen Fingern schnuppern und kraulte sie
dann zwischen den Ohren und unterm Kinn. In einem Ansatz von Abwehr zuckte eine
Pfote nach oben. Die Katze verharrte und verfiel unvermittelt in lautes
Schnurren, während ihre Pfote langsam nach unten sank. Gertrud Jansen
beobachtete das Manöver ihres Hausgenossen und nickte.
    »Die iss nich eijnfach, die
alte Dame hier. Hätt ihren eijenen Kopp. Mäht, watt se will, und läht sich nix
sahre. Bliev nitt jähn allein. Wehe, ich möht inkoofe jonn, dann schimpft se
janz furchtbar.« Sie verschränkte die Arme vor der Brust. »Do muss mer en
Händchen für hann, junge Frau.«
    »Ich mag die Viecher«,
murmelte ich und ging neben der Couch in die Knie. Ich dachte an meinen Kater
Hermann, dessen Tod vor einigen Monaten eine Art Wendepunkt in meinem Leben
symbolisierte, und ließ meine Fingerspitzen an der vibrierenden Katzenkehle
ruhen. In Steffens Vorstellung über unsere Zukunft, die ich nicht mit ihm
teilen konnte, hatten ein Haus und vielleicht sogar gemeinsame Kinder eine
Rolle gespielt. Für ihn stellten dabei die acht Jahre, die er jünger war als
ich, kein Hindernis dar. Für mich schon. Mein Vater hatte mich zur selben Zeit
erst gar nicht nach meiner Meinung gefragt, sondern seine Umsiedlung ins
Altersheim hinter meinem Rücken eingefädelt und mir den Schlüssel zu seiner
Wohnung in die Hand gedrückt, in der ohnehin bereits die meisten meiner Sachen
standen. Meine Entscheidung war in dem Moment gefallen, als Hermann auf meinem
Arm starb. Ich musste mir mein neues Leben aufbauen. Ohne Steffen.
    »Wolldr ejnen Kaffee?«,
fragte unsere Gastgeberin und schaltete ihr Radio ein. Schlagermusik füllte
wenig dezent den Raum, und ich überlegte, wie viel davon wohl bei ihrem
Nachbarn durch die Wände drang, ohne dass er sich beschwerte. Gertrud Jansen
wies auf die beiden freien Sessel. »Sätz üch doch!«
    Mein Handy klingelte. Eine
unterdrückte Nummer. Ich nahm ab.
    »Ja?«
    »Frau Weinz?« Eine
Frauenstimme.
    »Ja.«
    »Reichl hier, Gymnasium
Schleiden. Es geht um Henrike.«
    »Ist etwas passiert?«
Während ich angestrengt auf die Worte aus dem Hörer lauschte, sah ich Gertrud
Jansen an, hob abwehrend die Hand und versuchte, meine Unruhe zu unterdrücken.
Henrike war die größte Veränderung in meinem Leben. Von sporadischer
Patentanten- auf ständige Mutterersatzfunktion. Ihre Mutter war meine beste
Freundin. Gewesen. Nun war sie tot, und ich hatte ihr versprochen, mich um ihre
Tochter zu kümmern. So einfach war das. So traurig. So schwer. Und so
kompliziert. Seit Henrikes Einzug bei mir schwankte ich ständig zwischen
übergroßer Sorge um das Mädchen und dem Drang, den Komplikationen, die das
Leben mit einem Teenager mit sich brachte, zu entfliehen. Von einem Tag auf den
anderen mit einer Dreizehnjährigen zusammenzuwohnen, war eine Herausforderung
der ganz besonderen Art, mit der ich so nicht gerechnet hatte, und ich musste
oft an mich halten, um nicht auszurasten. Die ungeheure Bedeutung der richtigen
Klamotten zu den richtigen Anlässen, die Notwendigkeit täglichen viermaligen
Umziehens und stundenlangen Schminkens im morgendlichen Badezimmer, das alles
erschloss sich mir einfach nicht, auch wenn ich mir Mühe gab, mich darüber zu
freuen, dass sie sich wie ein normaler Teenager benahm. Ihre Trauer war nicht
weg,
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