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Eifler Zorn

Eifler Zorn

Titel: Eifler Zorn
Autoren: Elke Pistor
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sondern kam in Wellen, verebbte mit jedem Mal mehr und wandelte sich zu
einer Wehmut, die sie ihr Leben lang im Guten begleiten und sie letztlich
bereichern würde.
    »Am besten wäre es, wenn Sie
herkommen und wir miteinander sprechen könnten, Frau Weinz.« Ein Räuspern. Ein
heiseres Husten. »Am Telefon lassen sich solche Dinge nur schlecht
diskutieren.«
    »Ich bin noch zwei Stunden
im Dienst, Frau Reichl. Danach …«
    »Es wäre gut, wenn Sie
sofort kommen könnten, Frau Weinz.«
    Am anderen Ende der Leitung
hörte ich die Direktorin atmen. Sie wartete.
    »Frau Reichl, ich befinde
mich in einem Einsatz und kann nicht einfach alles stehen und liegen lassen,
wenn ich noch nicht einmal weiß, was geschehen ist. Ist Henrike krank oder
verletzt?«
    »Nein, das ist sie nicht.«
    »Gut, dann werde ich mich
bei Ihnen melden, sobald ich kann.«
    »Henrike hat das Handy einer
Mitschülerin zerstört«, kam es nun im Stakkato-Ton.
    »Das tut mir leid. Wir
werden es selbstverständlich ersetzen. So etwas kann passieren.«
    »Sie hat es von ganz oben
den Hang hinuntergeworfen, nachdem sie auf das Fensterbrett geklettert war, die
Verriegelung aufgebrochen und das Fenster geöffnet hatte. Das war kein
Versehen, Frau Weinz.«
    Nein, das war es wohl nicht,
dachte ich und lehnte mich an die Wand, während Sandra und Gertrud Jansen mich
mit besorgten Blicken bedachten. Laut erwiderte ich: »Ist Rike jetzt bei
Ihnen?«
    »Sie wartet hier mit mir auf
Sie, Frau Weinz.«
    »Kann ich sie bitte
sprechen?« Es knackte in der Leitung, raschelte, und dann hörte ich ein anderes
Geräusch. Es klang wie Zähneknirschen. »Rike?« Etwas klirrte leise am Hörer
entlang. Ich erinnerte mich an die langen Ohrringe aus Metall, die sie mir
heute Morgen beim Frühstück präsentiert hatte und die mich zu Fragen im
Hinblick auf angemessene Kleidung im Unterricht und sie, als Reaktion darauf,
zu verdrehten Augen und genervtem Schulterzucken veranlasst hatten.
    Ich hörte Henrike atmen.
    »Es gibt sicher einen Grund
dafür?«, fragte ich in ihr hartnäckiges Schweigen hinein, ohne mit einer
Antwort zu rechnen. Ich wusste, solange sie im Büro der Direktorin saß, würde
sie, wie ihre Mutter früher, kein Wort von sich geben. »Hör zu, Rike«, fuhr ich
fort, ging ein Stück in den Flur und zog die Türe hinter mir bis auf einen
Spaltbreit zu. »Ich bin im Dienst und kann auf keinen Fall jetzt kommen. Bitte
fahr nach Hause und warte da auf mich. Wir reden heute Abend darüber, in
Ordnung?« Stille. »Gib mir bitte Frau Reichl noch mal.« Ich wartete. Wieder
raschelte und knackte es. Dann hörte ich die Stimme der Direktorin.
    »Ja?«
    »Ich melde mich später bei
Ihnen, Frau Reichl, sobald ich kann. Henrike soll nach Hause fahren. Ich
kümmere mich um die Angelegenheit.« Ich hatte keine Lust auf weitere
Diskussionen, die nichts änderten. Aus den Augenwinkeln sah ich mich im
Garderobenspiegel, umrahmt von Gelsenkirchener Barock, und musste grinsen, weil
mich das an eine dieser Vorabendkrimiserien erinnerte und ich so wunderbar dem
gängigen Bild der Landpolizistin entsprach. Nicht mehr ganz neu, praktische
aschblonde Kurzhaarfrisur, leicht übergewichtig und gestresst von ihrer
Doppelrolle als berufstätige Frau und verantwortungsvolle Mutter, schlägt sich
die tapfere Fernseh-Beamtin durch die Eifel und nimmt ihr Schicksal und die
Ureinwohner mit Humor und Gottergebenheit. Nur dass es im Leben nicht immer so
locker flockig zuging.
    »Ärger?«, fragte Sandra
knapp, aber mitfühlend, als ich ins Wohnzimmer zurückkehrte. Ihre Tochter Luisa
ging in dieselbe Klasse wie Henrike, und sie kannte vermutlich die
harsch-herzliche Art der Direktorin. Ich schüttelte mit Blick auf die alte Dame
den Kopf.
    »Danke für Ihr Angebot, Frau
Jansen, aber wir können leider keinen Kaffee mit Ihnen trinken. Wir sind im
Dienst und müssen gleich weiter.« Ich reichte ihr zum Abschied die Hand.
    Gertrud Jansen fiel merklich
in sich zusammen, verbarg die Enttäuschung aber hinter einer verständnisvollen
Miene und einem sehr geraden Rücken. Sie tat mir leid, aber mehr als die Zeit,
die wir schon bei ihr verbracht hatten, konnten wir nicht aufbringen. Unsere
Aufgabe als Polizisten war hier erledigt. Mehr blieb nicht zu tun.
    Sandras Diensthandy
klingelte. Sie ging voraus in den Flur und nahm das Gespräch entgegen. Ich
hingegen wandte mich erneut der alten Dame zu, mir war noch etwas eingefallen.
    »Wenn Sie Musik so mögen,
Frau Jansen«, sagte ich und lächelte,
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