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Eifler Zorn

Eifler Zorn

Titel: Eifler Zorn
Autoren: Elke Pistor
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dünnen Hemdes reißt, bleibt an einem der Krempelhaken
hängen und verschwindet zwischen den Walzen. Paul zuckt zusammen und reibt über
die nackte Haut seines Arms.
    »Glück
gehabt«, knurrt einer der anderen, ohne die Arbeit zu unterbrechen. Paul rührt
sich nicht. Er hat schon miterlebt, wie die Maschinen Finger oder Arme
einquetschen, und die Schreie der Männer gehört. Er starrt auf die stetig
weiterwandernde Wolle vor ihm.
    »Wir
sollten uns anders aufstellen, wenn wir die Wolle in die Maschine eingeben.« Er
geht an die Seite des Tisches, packt eines der weißlichen Bündel und führt es
mit einer leichten Bewegung nach links an die Walze. »So müssen wir uns nicht
so recken, und wenn auf jeder Seite zwei Mann stehen, geht es schneller und
besser.« Er blickt die drei auffordernd an. »Los, ihr beiden auf die rechte
Seite, wir beide«, er weist auf den ihm am nächsten stehenden Mann, »übernehmen
die linke Seite.«
    »Red
keinen Unsinn, Junge. Wir machen es so, wie sie es uns sagen, und nicht anders.
Klar?«
    »Aber die
Arbeit würde …«
    »Was
würde die Arbeit?« Der Aufseher steht mit vor der Brust verschränkten Armen
hinter ihm, ohne dass Paul sein Kommen bemerkt hat.
    »Sie
würde uns schneller machen! Wir könnten schneller und sicherer arbeiten.« Paul
vergisst seine Angst, die ihn sonst einen großen Bogen um den Mann machen
lässt, so sehr ist er von seiner Idee begeistert.
    »So.
Könntet ihr das?« Leise. Monoton.
    »Ja. Ich
habe darüber nachgedacht. Wenn man den Tisch nicht mit der Querseite, sondern
mit der Längsseite hinstellen würde, könnten zwei Helfer am Kopfende die Wolle
aufladen und jeweils zwei Männer die Walzen mit der Schur bedienen«, rattert
Paul atemlos. Dann verstummt er und wartet auf ein Urteil.
    Der
Aufseher bewegt seinen Kopf langsam in den Nacken und wieder zurück. Als ihre
Blicke sich wieder begegnen, löst er die verschränkten Arme, hebt langsam eine
Hand und glättet seine störrischen Haare. »Nein.«
    »Aber«,
entfährt es Paul, während ihm gleichzeitig klar wird, dass Widerspruch ein
Fehler ist. Er schlägt sich die Hand vor den Mund.
    »Wie
heißt du, Junge?« Wieder dieses Lauernde. Ein Raubtier.
    »Paul
Weber«, flüstert er mit heiserer Stimme.
    »Oh, ein
Weber! Da weißt du ja, wie die Arbeit richtig geht, was Junge?« Der Aufseher
breitet die Arme aus und dreht sich wie ein Zirkusdirektor. »Dann kannst du uns
ja sicher sagen, was wir alles falsch machen?«
    »Nein,
ich …«, stammelt Paul.
    »Hör zu,
Junge.« Der Aufseher beugt sich zu ihm hinunter, bis ihre Nasen sich beinahe
berühren, und zischt leise: »Einer wie du ist zum Arbeiten hier und nicht zum
Denken! Vergiss das nie, Paul Weber.«
    ***
    »Wir machen uns grade
sehr beliebt«, murmelte ich nach einem Blick in den Rückspiegel, schaltete die
Musik aus und wartete darauf, dass das Radio meine CD ausspuckte. Mit einem leisen Surren glitt sie in meine Hand, und ich reichte
sie Sandra. »Die Hülle liegt da«, sagte ich und zeigte auf die Ablage neben dem
Schaltknüppel. »Kannst du sie bitte einpacken?« Sandra grinste.
    »Du und deine Eifelpunker.«
    Ich zuckte mit den
Schultern. Auf den langen Strecken, die ich oft während des Dienstes
zurücklegte, sorgte die Musik für gute Laune. Zumindest bei mir. Nicht jeder
Kollege teilte meine Vorliebe für die Eifel-Punkband Jupiter Jones, deren
Lieder ich gern und laut mitsang. Mit Sandra hatte ich mich auf eine Art
freundliche Toleranz ihrerseits und eine moderate Lautstärke und verschlossene
Lippen meinerseits geeinigt. Ich schaute über die Schulter zurück auf die
Straße, wo sich hinter uns die Autos stauten. Seit vier Minuten standen wir mit
gesetztem Blinker auf der Kölner Straße in Richtung Ortsausgang und hofften auf
eine Lücke im entgegenkommenden Verkehr, über die wir nach links in eine kleine
Seitenstraße abbiegen und zur Abrissstelle gelangen konnten, in der die Leiche
gefunden worden war. Pendlerheimkehrstunde. Aber niemand hupte, und niemand
versuchte, sich über den schmalen Seitenstreifen an unserem Wagen vorbeizudrücken,
wie ich es bereits erlebt hatte, als ich mit meinem Käfer einige Meter weiter
vorne gestanden hatte, um ihn mal wieder in die Werkstatt zu karren. Einen
verkehrshinderlichen Polizeiwagen respektierte man dagegen klaglos.
    In diesem Teil von Gemünd
saß die örtliche Industrie. Aufgereiht wie Perlen an einer Schnur lagen Firmen,
Handwerksbetriebe und Fabriken. Die Autowerkstatt, der ich meinen Käfer
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