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Eifler Zorn

Eifler Zorn

Titel: Eifler Zorn
Autoren: Elke Pistor
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schon
öfter, als mir lieb war, anvertraut hatte, eine Bierdeckeldruckerei, ein
Autohändler. Ein Stück weiter die Gemünder Brauerei. Ich hatte mich oft
gefragt, welchen ersten Eindruck die Touristen von ihrem Urlaubsort erhielten,
wenn sie aus Richtung Köln kommend in Gemünd eintrafen. Die Fahrt durch das
lang gestreckte, von einer schnurgeraden Bundesstraße geteilte Tal ließ jedem
Neuankömmling genügend Zeit, erste Zweifel an einem Besuch des Ortes aufkommen
zu lassen. Von Eifelidylle und werbetauglichen Postkartenansichten war hier
nicht viel zu spüren. Der Wald begann abseits der Strecke und bildete nur die
Kulisse. Immerhin trug der Abriss des alten, maroden Anwesens, zu dem wir
wollten, sicher zu einem freundlicheren Entree bei.
    »Wer hat uns eigentlich
angerufen?«
    »Die Baggerführerin, eine
gewisse Bianca Friese.«
    »Das könnte sie sein.« Ich
zeigte auf eine schmale Gestalt, die neben dem Baustellenschild stand und in
unsere Richtung starrte, und hätte dabei beinahe die Lücke zwischen zwei Autos
verpasst. Mit quietschenden Reifen jagte ich den Wagen über die Straße. Die
Schlange hinter uns setzte sich langsam in Bewegung. Köpfe wandten sich, und im
Rückspiegel erkannte ich die aufflackernde Neugier in den Gesichtern.
    Ich parkte, und wir stiegen
aus.
    »Fürs Protokoll: Es ist
siebzehn Uhr dreißig«, sagte ich, bevor ich mich der Zeugin zuwandte. »Frau
Friese?«
    Schweigen. Ich ging zu ihr
und berührte sie leicht am Ärmel. »Frau Bianca Friese?«, fragte ich ein
weiteres Mal.
    »Er ist dahinten«, sagte
sie, drehte sich um und setzte sich in Bewegung, den Rücken sehr gerade. Ihre
Arme hingen wie Stricke an ihrer Seite. Zielsicher kletterte sie von einem
Schutthaufen auf den nächsten, wie ein Bergsteiger, der seine Route kennt und
den der sichere Tritt vor dem endgültigen Absturz bewahrt.
    Ich folgte ihr und hörte
auch Sandra hinter mir über das Geröll stapfen.
    »Da unten.« Sie war
unvermittelt stehen geblieben und zeigte mit ausgestreckter Hand in die Tiefe.
    Der Boden der Grube
schimmerte schwarz von Feuchtigkeit, und überall lagen Mauerbrocken, Holzbalken
und anderes Schuttmaterial herum. Es roch nach Staub, Beton und Moder. Reste
einer Mauer bildeten einen Winkel, dessen Spitze herausgebrochen war. Es
dauerte einige Sekunden, bis ich die Leiche erkannte. Weißes Fleisch. Nackte
Glieder. Eine Schulter und eine hagere Brust. Quer über Leib und Kopf lag ein
breites Brett, das vielleicht als Deckel gedient hatte, dunkel und feucht wie
der Boden, und verdeckte den Toten. Die Füße waren sichtbar, in unnatürlichem
Winkel zueinander verkantet. Die Haut des jungen Mannes schien im Dunkel der
Baugrube zu leuchten. Über die Entfernung hinweg konnte ich keine Einzelheiten
erkennen.
    »Er war in der Kiste.« Ich
sah, wie ihre Hand zitterte. »Ich wollte noch diese letzte Ecke niederlegen,
und da war diese Kiste im Wasser.«
    »Waren Sie unten?«
    Sie nickte.
    »Haben Sie etwas angefasst
oder verändert?«
    »Er ist nicht frisch.« Sie
wandte den Kopf, sah auf die Leiche und dann wieder mich an. »Er ist alt.«
    »Der Tote ist ein alter
Mann?«
    »Nein.« Sie erwachte aus
ihrer Starre, sah mir zum ersten Mal bewusst in die Augen. »Ich habe damit
nichts zu tun.«
    »Niemand beschuldigt Sie,
Frau Friese. Sie haben uns angerufen und hier auf uns gewartet.«
    »Ich habe ihn nur gefunden.«
    »Frau Friese«, ich legte
meine Hand auf ihren Arm und schob sie ein Stück von der Grube weg, »möchten
Sie sich einen Moment setzen? Ich kann Sie zum Wagen bringen.«
    »Der Notarzt ist unterwegs.«
Sandra hatte Bianca Frieses Zustand und meine Besorgnis erkannt und bereits
gehandelt. Hier brauchte zuerst die Zeugin Hilfe. Die Frau stand unter Schock.
»Ich kümmere mich solange um sie«, fügte sie hinzu und fasste Bianca Friese
sacht am Arm, um sie zum Wagen zu geleiten.
    »Gut. Ich sehe mir das mal
an«, antwortete ich und fischte meine Gummihandschuhe aus der Innentasche
meiner Jacke, während ich an den beiden vorbei zum Wagen ging, um die Taschenlampe
aus dem Kofferraum zu nehmen. Es dämmerte, und ich wollte wissen, wohin ich in
der Grube trat oder auf was. »Kannst du bitte versuchen, die Nummer ihres Chefs
oder des Bauleiters herauszubekommen? Wir müssen jemanden vor Ort haben, der
sich hier auskennt.« Ich lächelte Bianca Friese zu, die gerade von Sandra auf
den Rücksitz verfrachtet und mit einer Decke versorgt wurde.
    »Die Leiter nach unten steht
hinten links.« Kein
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