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Der schwarze Tod

Der schwarze Tod

Titel: Der schwarze Tod
Autoren: Katja Piel
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1. Kapitel
    Köln im Sommer 1606
    « Wir sollten verschwinden. Die Menschen verlieren den Verstand »

    Rosa zog die Tür hinter sich zu. Aus der Tasche ihres Umhanges zog sie ein Stück Kreide und malte ein dickes, gut sichtbares Kreuz auf das dunkle Holz. Damit war das Schicksal der Hausbewohner besiegelt.
    Sie wandte sich ab und raffte ihre Röcke, um sie vor dem Straßendreck zu schützen. Langsam machte sie sich auf den Heimweg.
Werwölfe seien völlig unempfindlich gegenüber allen Krankheiten, von denen die Menschheit heimgesucht wurde, das hatte sie von Imagina gelernt. Doch sie traute sich nicht, die schwere lederne Maske abzunehmen, die ihre Sicht behinderte. Das letzte Aufflackern dieser Geißel Gottes war ein paar hundert Jahre her, und Imagina hatte es nach ihren eigenen Worten tief im Wald einfach abgewartet. Rosa wollte nicht riskieren, dass die alte Werwölfin sich irrte.
Die Maske war mit in Essig getränkten Tüchern ausgestopft, die die Atemluft filtern und den Erreger töten sollte. Die Ausdünstungen des Essigs bissen in Rosas Nase und trieben ihr die Tränen in die Augen.
Ihr Fuß stieß gegen etwas Weiches. Sie beugte sich nach vorne, damit ihre Füße in den Sichtausschnitt kamen, den die Maske ihr bot.
Ein Knäuel toter Ratten. Erstaunlich, dass überhaupt noch Ratten übrig waren, die zum Sterben aus den Häusern ins Freie kriechen konnten. Die Ratten starben zuerst, massenweise. Die grauen, stinkenden Hügel ihrer Kadaver säumten die Straßen. Dann kamen die Menschen dran.
    Die letzte Welle vor zweihundert Jahren hatte die Bevölkerung beinahe halbiert. Damals waren die Menschen noch dumm gewesen, hatten nicht gewusst, wie der Erreger sich verbreitete – dass man sich an den Kranken vergiftete, nur indem man sich in ihrer Näher aufhielt. Heute wusste man mehr und brachte alle aus der Stadt, die Kontakt mit Kranken gehabt hatten. Auf den Feldern südlich von Köln pferchte man sie zusammen, teils in Hütten, teils unter freiem Himmel. Aufwand betrieb man nicht – sie hatten höchstens zwei, drei Wochen zu leben. Wer floh, wurde getötet.
    Rosa schob den Gedanken an die Familie, die sie gerade besucht hatte, gewaltsam beiseite. Mit dem Kind im Leib der werdenden Mutter war alles in Ordnung – die Geschwulst in der Halsbeuge der Mutter zeigte allerdings, dass es seine Geburt wohl nicht mehr erleben würde.
Rosa bog um eine Ecke, und beißender Rauch schlug ihr ins Gesicht. Auf dem kleinen Platz hatte man ein Feuer entzündet. Die Häuser ringsum neigten sich mit hohlen Fenstern darüber, wie um ein bisschen Leben aufzusaugen. Sie bezweifelte die Theorie, dass die Feuer die Luft reinigten. Wahrscheinlicher war, dass über kurz oder lang wieder ein Stadtteil brennen würde, aber die Menschen gingen das Risiko ein. Vor nichts hatten sie solche Angst wie vor der Krankheit.
    Rosa drückte sich dicht an den Häuserfassaden entlang, um dem Funkenflug zu entgehen, und tauchte in eine Gasse ein, die sie im Zickzack in die besseren Viertel führte. Hier waren die Häuser aus Stein, die Leute lebten weniger dicht an dicht, und die Krankheit schlug seltener zu. Auch die Ratten erfreuten sich hier bester Gesundheit. Sie bog in einen Hinterhof ein, riss sich die Maske vom Gesicht und machte einige tiefe Atemzüge. Die stinkende, sommerliche Stadtluft kam ihr süß und lau vor und trocknete den Schweiß auf ihrem Gesicht.
    "Wir sollten verschwinden", begrüßte Mattis sie, als sie die Tür öffnete und den kleinen Wohn- und Schlafraum betrat. "Die Menschen verlieren den Verstand."
"Dir auch einen guten Abend, Mattis. Gibt es noch frisches Wasser? Ich bin am Verdursten."
Er holte einen Krug und einen Becher und goss ihr ein. Sie trank gierig und stellte den Becher dann zurück.
"Ich kann hier nicht weg, Mattis. Die Menschen brauchen mich."
"Du bist Hebamme, keine Ärztin!"
"Die meisten Ärzte sind längst geflohen und haben die Kranken ihrem Schicksal überlassen! Außerdem weiß ich mehr über Heilkunde als die meisten von ihnen."
Mattis seufzte.
"Sie geißeln sich wieder. Ich habe es heute am Dom gesehen. Und sie fangen an, sich gegenseitig zu erschlagen, wenn sie sich für krank halten. Das sind Tiere, Rosa!"
Sie lächelte schmal.
"Das sagt der Richtige."
"Sehr witzig. Rosa, wir sind hier nicht sicher. Irgendwann wird niemand mehr glauben, dass du gesund bist, wenn du so viel Umgang mit den Kranken hast. Sie werden dich totschlagen, wie sie es mit der Frau vom Schuster gemacht haben. Dabei hatte
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