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Eifelbaron

Eifelbaron

Titel: Eifelbaron
Autoren: Rudolf Jagusch
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Kollegen? Du bist doch bald wieder weg, oder?«
     
    Fischbach hatte sich den Spruch trotz aller guten Vorsätze, dem jungen Kollegen bei seinem Einstieg behilflich zu sein, nicht verkneifen können. Der Bursche stand hier in der Runde, als ob ihn alles wenig angehen würde. So leicht kommst du mir nicht davon, Jüngelchen, dachte er und rieb sich die Hände. Die Kälte griff nach seinen Gelenken. Er hätte seine Handschuhe mitnehmen sollen. Die lagen in seinem Helm auf der Sitzbank des Motorrads.
    »Los jetzt«, sagte er und stapfte zum Leichnam an der Mauer.
    Es sah fast so aus, als ob Bruce Baron sich an die Statue angelehnt hätte, um ein kurzes Nickerchen zu halten – wenn er denn ein Gesicht gehabt hätte. Über den Schultern klebte eine breiige Masse in dem Spalt zwischen Statue und Mauerwerk, die die Steine gräulich rot färbte. Schädelsplitter steckten in den Fugen. Fischbach würgte. Hinter sich hörte er die gleichen Geräusche, dann ein »Oh Gott«. Er wandte sich halb um und sah Welscher davonstürmen. Ein paar Meter schaffte der junge Kollege noch, dann erbrach er sich auf seine Schuhe. Fischbach spürte Mitleid, kämpfte er doch selbst gegen seine aufsteigende Magensäure an. Unzählige Tote hatte er während seiner gut dreißigjährigen Laufbahn gesehen. Strangulierte, Erschossene, übel riechende Wasserleichen und Stromtote, vieles war ihm bisher untergekommen. Trotzdem hatte sich bei ihm nie eine distanzierte Routine eingestellt. Jeder Todesfall kratzte an seiner Psyche und erinnerte ihn sofort an seinen persönlich schlimmsten Fall, an den von Brands Wellem, der hinten in Antweiler mit dem Mähbalken seines Deutz Traktors seinem Sohn die Füße abgesäbelt hatte. Der Junge war verblutet, bevor der Rettungswagen eintraf. Das war in den Siebzigern gewesen, aber die Bilder in Fischbachs Kopf waren so klar, als ob es erst gestern gewesen wäre. Der Junge hatte friedlich ausgesehen, fast so, als ob er seinem Vater im Angesicht des Todes verziehen hätte. Aber die abgerissenen Füße und die schrecklichen Wunden an den Beinen hatten Fischbach noch wochenlang in seinen Träumen verfolgt. Immer wieder hatte er damals überlegt, ob er das Handtuch werfen sollte. Obwohl es ein Unfall gewesen war, kam er nur sehr langsam darüber hinweg. Es machte ihm zu schaffen, dass er dienstlich gezwungen war, sich aus nächster Nähe mit dem Tod eines so jungen Lebens zu befassen. Die Distanz, die andere zum Selbstschutz aufbauten, die gab es bei ihm nicht. Zu allem Überfluss hatten sie kurz darauf Brands Wellem vom Dachbalken seiner Scheune abschneiden müssen.
    »Und da bist du ran?«, presste Fischbach hervor und sah Andrea Lindenlaub an. »Das sieht doch aus wie durch den Wolf gedreht.«
    »Ich denke dann einfach an was Schönes«, erklärte Andrea Lindenlaub. Sie wirkte kühl und abgeklärt. Nur ein Zucken ihres linken Augenlides verriet ihre Anspannung.
    »An was Schönes?«, entfuhr es Welscher, der in zehn Metern Entfernung mit hängendem Kopf an einem Baumstamm lehnte. »Bei dem Anblick? Wie kann man denn da … was soll das denn sein, was Schönes? Ein Mettbrötchen?«
    Andrea Lindenlaub wirbelte herum. »Hör mal, du Klugscheißer. Mein Vater war Metzger. Was glaubst du, wie oft ich als Kind zu Schlachtungen mitgenommen wurde? Das ist …«
    Fischbach legte ihr eine Hand auf den Unterarm. »Lass gut sein, Andrea«, beschwichtigte er.
    Auch Büscheler war inzwischen näher zum Leichnam getreten und starrte ihn an. »Das wirkt auf mich wie ein Selbstmord. Hm. Keine Kampfspuren, alles scheint so … friedlich. Trotz der schlimmen Verletzung«, murmelte er.
    Fischbach trat an seine Seite. »Es ist aber keine Waffe da.«
    »Ich weiß. Vielleicht hat sie ja jemand mitgenommen.«
    »Abwegig, oder? Bei dem Anblick geht doch normalerweise jeder sofort stiften.«
    Stumm standen sie eine Weile beisammen, während Fischbach in die Knie ging und so die Perspektive änderte. Er versuchte, sich jedes Detail einzuprägen.
    Baron trug einen dunkelblauen Anzug, das weiße Hemd war blutdurchtränkt. Die dunkel bestrumpften Füße steckten in edlen schwarzen Lackschuhen. An der rechten Hand trug er einen goldenen Ring, links am Arm eine edle Uhr. Die Fingernägel waren manikürt. Im Schritt war die Hose durchnässt. Es roch penetrant nach Urin.
    Ächzend stemmte sich Fischbach in die Höhe und wedelte mit der Hand vor seiner Nase herum. »Ich habe genug gesehen. Was ist mit euch? Brechen wir die Zelte ab und fahren
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