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Eifelbaron

Eifelbaron

Titel: Eifelbaron
Autoren: Rudolf Jagusch
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einmal hängen geblieben. Sie hieß Maria und war als Republikflüchtige mit einem GI nach Spangdahlem in die Eifel gekommen. Endlich dem Kommunismus entflohen, verfiel sie dem amerikanischen Lebensstil. Ihr Soldat war schnell laufen gegangen. Geblieben waren ihr der Whisky, ihre Marlboros und die Musik. Und eine ganze Weile auch Bruce.
    Wehmut packte ihn. Seine Brust fühlte sich plötzlich an, als ob ein dicker Stein darauf lasten würde. Damals war alles so einfach gewesen. Er hatte nichts außer seinem jungen Leben besessen, hatte nur hinzugewinnen können.
    Die Sängerin steckte das Mikro in den Ständer und schlenderte mit aufreizenden Hüftschwüngen zu ihm rüber. Sie hauchte ihm einen flüchtigen Kuss auf die Wange. Ihr Atem roch nach Pfefferminz, ihr Parfüm blumig.
    »Wir sehen uns.« Sie zwinkerte ihm verschwörerisch zu. »Versetz mich nicht, sonst werde ich sehr böse.« Schmunzelnd verschwand sie mit den anderen Musikern in dem Gang, der zu den Garderoben führte.
    Baron sah verstohlen zu seiner Frau. Sie unterhielt sich angeregt mit dem Bürgermeister und hatte von dem kurzen intimen Moment nichts mitbekommen. Erleichtert atmete er auf. Einen weiteren Fehltritt würde sie ihm zum jetzigen Zeitpunkt bestimmt nicht verzeihen. Von seiner Beziehung zu der Sängerin durfte sie auf keinen Fall erfahren. Er blickte auf die Uhr. Kurz nach Mitternacht. Die Ersten saßen bereits etwas unruhig auf ihren Stühlen und warteten nur noch auf seine Ansprache, bevor sie nach Hause eilen würden. Jetzt war der Augenblick gekommen.
    Mit festem Schritt trat er ans Mikrofon und wartete geduldig, bis er sich der Aufmerksamkeit aller sicher war. Er horchte in sich hinein. Damals, als er den Plan gefasst hatte, den Höhepunkt hier und jetzt zu setzen, hatte er noch Skrupel gehabt. Doch je näher der heutige Tag gerückt war, desto sicherer war er geworden. Er hatte alles richtig gemacht.
    »Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freunde«, begann er und steckte die Hände in die Taschen seines neuen Anzuges. »Ich hoffe, Sie hatten alle einen schönen Abend.«
    Applaus brandete auf, einige johlten.
    Baron lächelte und verbeugte sich leicht. »Das freut mich sehr. Sie haben sich diesen Abend redlich verdient. Denn fünfundzwanzig Jahre haben wir Seite an Seite gestanden und das Schiff auf Kurs gehalten. Jeder von Ihnen hat sein Bestes gegeben. Viele von Ihnen haben sich sogar finanziell eingebracht, haben mir Kredite gewährt, damit wir die schwierigen letzten drei Geschäftsjahre überbrücken konnten. Dazu die vielen unbezahlten Überstunden. Wenn ich die alle hätte auszahlen müssen, wäre ich schon vor längerer Zeit gezwungen gewesen, den Betrieb einzustellen. Ihr außergewöhnlicher Einsatz verdient meinen Respekt und meinen ganz besonderen Dank. Ich bin stolz auf Sie.« Er zog die Hände aus den Taschen und breitete die Arme aus.
    Kräftiger Applaus schlug ihm entgegen.
    So, das war der angenehme Part, dachte er. Er wartete einige Sekunden ab und legte sich die Worte zurecht, einfach strukturiert, für jeden verständlich.
    »Aber leider hat das alles nichts genutzt. Ich will nicht lange um den heißen Brei herumreden.« Er fasste sich in die Hosentaschen und zog das Futter heraus. »Ich bin pleite. Mein Privatvermögen ist weg, meine horrenden Schulden kann ich nicht mehr bedienen, und das Finanzamt schnürt mir die Kehle zu. Ich habe Insolvenz angemeldet. In den Umschlägen, die Sie gerade erhalten haben, befinden sich Ihre Kündigungen. Die Produktion wird sofort eingestellt, die Verwaltung aufrechterhalten, bis alles abgewickelt ist. Vielleicht aber findet der Insolvenzverwalter den Weg, die Firma zu retten, den ich nicht sehe. Ich wünsche Ihnen für Ihre Zukunft alles Gute.« Er drehte sich auf dem Absatz um und verließ die Bühne.
    Während er durch den Seitenausgang ins Freie trat, hörte er, wie hinter ihm im Saal der Tumult losbrach.
    * * *
     
    Die Straße durchschnitt ein kleines Wäldchen. Schneeregen prasselte, von den Baumkronen kaum gebremst, unvermindert heftig auf die Windschutzscheibe.
    Jan Welscher kümmerte das nicht. Er hatte heute absichtlich nicht die A 1 genommen, da er Zeit brauchte, um über das nachzudenken, was ihn am Morgen kalt erwischt hatte.
    Sein alter Fiesta keuchte mit mageren siebzig Stundenkilometern auf der L 182 unter der A 61 durch und weiter, an Neukirchen vorbei, in Richtung Großbüllesheim. Ärgerlich knüllte er seinen Pappkaffeebecher zusammen und warf ihn über die
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