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Ehrensachen

Ehrensachen

Titel: Ehrensachen
Autoren: Louis Begley
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über die sehr geklagt wurde.
    Gesellschaftlich gesehen, galten alle Studentenwohnheime gleich viel; da die Bewohner jedes Jahr wechselten, hatte keines genug Zeit, ein individuelles Profil anzunehmen. Allenfalls konnte man die besseren sanitären Anlagen in den neueren Heimen gegen höhere Decken und größere Zimmer in den älteren abwägen. Anders stand es mit den Häusern. Ihre besonderen Merkmale und ihr Ansehen hingen davon ab, wie geschickt der Hausherr Erstsemester aussieben und profilierte Tutoren anwerben konnte. Zwei Häuser standen nach der gesellschaftlichen und intellektuellen Hackordnung obenan. In einem zählten fast nur Gelehrsamkeit und akademischer Erfolg, so daß ungepflegte oder exzentrische Bewohner geduldet wurden, wenn sie viel leisteten. Talente und Leistungen vieler Tutoren und Kollegiaten im anderen Haus waren genausogroß. Aber daß ein Student brillant war, reichte dort nicht immer. In seiner rastlosen Suche nach Perfektion ließ sich der Hausherr von Instinkten leiten, ungefähr so untrüglich wie die der Oberkellner oder der chefs de salle im Stork Club, dem »21« oder dem Maxim’s, die auf einen Blick erkannten, ob ein essenswilliger Gast zugelassen werden und an welchem Tisch er plaziert werden sollte. Wie seinen Kollegen in der Welt des eleganten Dinierens schwebte dem Hausherrn ein gesellschaftlicher Blütenstrauß vor, der einem großen Salon Ehre gemacht hätte,in seinem Fall allerdings von Jahr zu Jahr frisch gepflückt werden mußte. Er sehnte sich nach Kollegiaten, deren persönliche Eigenschaften und Ahnen ihm erlaubten, sie seine »amerikanischen Orchideen« zu nennen – eine Auszeichnung, die er bereitwillig zum Beispiel jedem Nachkommen von John Adams verlieh, vorausgesetzt, er hatte sich, soweit man wußte, nicht öffentlich mißliebig gemacht. Söhne und Enkel ausländischer Berühmtheiten hatten fast die gleiche Wirkung auf seine Phantasie, vor allem dann, wenn er eine Möglichkeit sah, sie höchst vorteilhaft miteinander zu kombinieren, wenn es ihm etwa gelang, die Enkel des größten lebenden französischen Malers, eines milliardenschweren östlichen Potentaten und des berühmtesten irischen Schriftstellers zu Zimmergenossen zu machen. Wider mein besseres Wissen bewarben Henry, Archie und ich uns im zweiten Semester unseres ersten Studienjahres fristgerecht um Aufnahme in dieses Haus. Mir war nicht wohl bei der Sache, und ich schwankte, ob ich mich dagegen aussprechen solle, aber ich hätte meine Gründe offenlegen müssen, und so machte ich dann doch mit. Mein Ärger wurde zum muffigen Schweigen, und während der Gespräche, erst mit dem leitenden Tutor Thomas Peabody, einem Mediävisten, in dessen Seminar ich war, dann mit dem Hausherrn, machte ich kaum den Mund auf. Als wir in das Büro des Hausherrn gebeten wurden, saß er in einem riesigen Sessel, zappelig, ständig die Beine übereinanderschlagend und wieder nebeneinanderstellend, bis er sie schließlich unter sich zog. Seine Fragen waren ausschließlich an Henry gerichtet. Er gab zu, Henrys Vorgeschichte sei rätselhaft und spannend für ihn – diese Worte wiederholte er mehr als einmal –, sie sei sehr ungewöhnlich, genauso wie seine Freundschaft mit Archie und mir.
    White, fragte er zum Schluß, fühlen Sie sich ganz und gar wohl mit Ihren Zimmergenossen?
    Henry war darauf vorbereitet.
    Ganz und gar wohl habe ich mich noch nie mit jemandem gefühlt, antwortete er. Ich kann mir nicht vorstellen, wie das wäre.
    Wie außerordentlich, rief der Hausherr, genauso empfinde ich auch! Une âme sœur!
    Trotz dieses Ausbruchs von Sympathie erhielten Henry und Archie einige Wochen danach einen von Peabody unterschriebenen Brief mit der Nachricht, sie würden in einem Studentenheim für die höheren Semester untergebracht, die keinen Platz in einem der Häuser gefunden hätten. Weiter stand in dem Brief, die Herren White und Palmer dürften sich, davon abgesehen, selbstverständlich als dem Haus assoziiert betrachten, insbesondere an den Mahlzeiten teilnehmen und die Bibliothek benutzen. Falls in ihrem vorletzten Studienjahr oder auch später eine geeignete Wohnung frei werde, würden sie dafür in Frage kommen. Wenn es nur um die Qualität der Unterbringung gegangen wäre, hätte man dieses Ergebnis als Glück bezeichnen können, denn das betreffende Wohnheim war ein luxuriöses Bauwerk aus dem ersten Jahrzehnt des zwanzigsten Jahrhunderts. Seine Suiten waren ebenfalls luxuriös. Aber Leute, denen solche Dinge
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