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Ehrensachen

Ehrensachen

Titel: Ehrensachen
Autoren: Louis Begley
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Mädchen, sagte er, sondern alle hier würden mich abweisen! Erinnerst du dich an den Mann,den Raymond Massey in Arsen und Spitzenhäubchen gespielt hat, den Mann, den Dr. Einstein – also Peter Lorre – am Gesicht operiert und durch einen Kunstfehler zum Monster gemacht hat? Raymond Massey, das bin ich. Mit mir ist auch ein Kunstfehler passiert. Darum sage ich immerfort: Dr. Einstein, wir müssen noch mal operieren.
    Ich sagte, dies sei wieder ein Beweis, daß er spinne.
    Er schüttelte den Kopf und sagte, seine Beobachtungen bei zwei Mahlzeiten, als er am Mittag und am Abend allein in der Mensa gegessen habe, vor der Szene am Fenster und vor unserer ersten Begegnung, hätten seinen Verdacht bestätigt: Er sei hoffnungslos fehl am Platz in der Welt, in der Leute wie das Mädchen oder auch ich zu Hause seien. Er habe genau studiert, wie die überall herumschwirrenden Erstsemester aussahen und auftraten, und er habe gemerkt, daß kein einziger war wie er. Jedenfalls war kein einziger so angezogen wie er. Oder anders gesagt, keinen einzigen, der annähernd so aussah oder so scheußliche Kleider hatte wie er, hätte er gern kennengelernt.
    Während er diese Beobachtungen von sich gab, lachte er, bis ihm die Tränen kamen. Ich wußte nicht, was ich davon halten sollte, also sagte ich, sein Überblick über die Erstsemester sei vielleicht nicht wissenschaftlich. Das könne schon sein, sagte Henry. Aber wie ich bald merken sollte, entging ihm wenig, und in der Regel erinnerte er sich an alles. Für diesmal ließ er meinen Einwand gelten und schwächte seine Behauptung ab: Seine Beobachtung in der Mensa habe nur bestätigt, was ihm schon zu Hause vor dem Aufbruch nach Cambridge klargeworden sei, als seine Mutter ihm die Klamotten eingepackt habe, die er mitnehmen sollte. Die kannte ich inzwischen auch: Da war ein himmelblauer Anzug, den er zur Abschlußfeier der Highschool getragen hatte, eine hellbraune Flanelljacke und zwei Paar braune Hosen. Seine Mutter hatte jedes Teil ausgesucht, und jedesTeil war zu groß, weil auf Zuwachs berechnet; sie wollte offenbar nicht einsehen, daß er seine endgültige Größe erreicht hatte. Er hätte seine Kleidung sehr gern in Cambridge oder Boston selbst gekauft, nachdem er gesehen hatte, was die anderen trugen, aber auf diesen Wunsch hatte sie sich nicht eingelassen: Er sei zu leichtsinnig und extravagant und wisse Qualität nicht zu schätzen.
    Außerdem, sagte er, findet sie, schließlich sei es das Geld meines Vaters, und ihr stehe das Vergnügen zu, dieses Geld auszugeben. Und so hat sie es geschafft, daß ich aussehe wie ein minderjähriger Buchhalter.
    Inzwischen hatte ich mich an Henrys Kleidung gewöhnt, aber wenn ich an unsere erste Begegnung und meinen ersten Eindruck von ihm zurückdachte, konnte ich nicht leugnen, daß er gute Gründe hatte, warum er dem Mädchen nicht in diesem Aufzug unter die Augen treten wollte. Nicht, wenn es ihm darauf ankam, einen möglichst guten Eindruck zu machen. Aber zurück zu dem Nachmittag: Wir bauten mein Bett und sahen uns dann im Wohnzimmer das Gepäck unseres fehlenden Mitbewohners an. Es bestand aus einem Überseekoffer und einem großen schweinsledernen Kleidersack, beide so abgewetzt, daß sie wohl auch ohne die Aufkleber mit den Namen »Normandie«, »Queen Mary« und verschiedener berühmter Hotels Beweisstücke für exotische Reisen gewesen wären. Wie ich auf dem am Koffergriff befestigten Namensschild las, hieß der Eigentümer Archibald P. Palmer III . Unter dem Namen stand eine A.P.O.-Adresse. Mein Vater war während des Krieges beim Militär gewesen, und die Abkürzung A.P.O. für Feldpost war mir vertraut. Ich erklärte Henry, daß wir einen Army-Sprößling zum Mitbewohner haben würden. Aber nicht die Feldpost machte Henry neugierig. Er wollte wissen, ob wir aus der römischen Zahl schließen sollten, daß unser Zimmergenosse zur High-Society gehörte. Er hielt es fürmöglich, aufgrund der Verlobungs- und Heiratsanzeigen, die er in der New York Times gelesen hatte. Zum Beispiel sei es nicht ungewöhnlich, sagte er, dort angezeigt zu finden, daß Mr. Ebenezer Witherspoon III ., der ältere Sohn des Ebenezer Witherspoon II ., ein Americana-Sammler und Yachtsegler mit Wohnsitzen in Cold Spring, Long Island, Manhattan und Palm Beach, Florida, Urenkel des Ebenezer Witherspoon, eines Geschäftspartners von Commodore Vanderbilt, die Tochter von Mr. und Mrs. Sperry Rand IV ., mit Wohnsitzen in Oyster Bay, Long Island und ebenfalls
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