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Ehrensachen

Ehrensachen

Titel: Ehrensachen
Autoren: Louis Begley
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alten schwarzgekleideten Dame, die unsere Drinks brachte. Wir setzten uns, und er erzählte seine Geschichte mit dem Ernst und der Genauigkeit, die mir von früher so vertraut waren.
    Drei Jahre nachdem er Partner geworden war, hatte er das Haus zu einem Spottpreis gekauft und viel Geld für die Sanierung ausgegeben, eine Summe, die damals für ihn ein Vermögen war. Mit der Anschaffung hatte er sich einen Fluchtort schaffen wollen, um sich ab und zu von allem und allen, auch von Margot und mir, zurückziehen zu können. Sobald die Arbeit am Haus getan war, fuhr er hin, sooft er konnte, natürlich nicht jedes Wochenende, denn damals bedeutete das fünf bis sechs Stunden Autofahrt über gefährliche Landstraßen. Für einen Kurzaufenthalt mit der Bahn anzureisen war unpraktisch. Manchmal kochte er sich etwas, manchmal ging er ins Restaurant, und wenn er ausging, hatte er gern Gesellschaft. Allmählich machte er es sich zur Gewohnheit, die Maklerin einzuladen, die ihm das Haus vermittelt hatte, eine sehr junge, kürzlich geschiedene Frau, fast noch ein Mädchen, mit zwei kleinen Jungen. Dann verliebte er sich in sie. Was daraus werden sollte, quälte ihn, denn für das Leben in Paris oder in New York als Ehefrau eines Wiggins-Partners war sie nicht gemacht, und sie dachte nicht daran, ihre Kinder zu entwurzeln. Wegen der Sorgerechte des Vaters, der in Aix wohnte, wäre das ohnehin unmöglich gewesen. Außerdem hatte er in dieser Zeit immer deutlicher das Gefühl, daß er im Grunde ein falsches, ein widerwärtiges Leben führe; bei unserem letzten gemeinsamen Abendessen habe dieser Widerwillen dann zu einem Gefühlsausbruch geführt . Wie er den Konflikt zwischen Paris und der Notwendigkeit, in der Nähe von Aix zu wohnen, gelöst hätte, wenn Hubert sich nicht wie ein Arschloch benommen hätte, das könne er nicht sagen. Wahrscheinlich hätte er sich einen Zeitplan für eineWochenendehe zusammengeflickt, aber so, wie er sich und Mireille und ihr Leben als Paar inzwischen kenne, wäre das bestimmt nicht gutgegangen. Mit diesen Einschränkungen würden sie sich beide nicht abgefunden haben. Zum Glück habe der Tritt in den Hintern ihn gerade rechtzeitig getroffen. Nach wenigen Monaten hatten sie geheiratet. Sie hatten ein gemeinsames Kind, einen Jungen, zur Zeit im lycée in Avignon. Ich würde ihn sehen, da Mireille ihn auf dem Heimweg von ihrer Arbeit abhole. Sie bestehe darauf, zu arbeiten – in der Region sei das Immobiliengeschäft im Aufschwung –, und er habe sie bei der Gründung einer eigenen Agentur finanziell unterstützt.
    Es ist ein fantastisches Geschäft, sagte er, das Beste, was ich mit dem Geld anfangen konnte. Die merkwürdige Folge davon ist, daß ich wieder eine Teilzeitarbeit als Anwalt habe. Mireille fand, es wäre nicht gut für mich, den ganzen Tag nur lesend zu Hause herumzusitzen und mit dem kleinen Sam zu spielen, während sie arbeitete. Da ihre Kunden in der Mehrzahl Ausländer sind – also Nichtfranzosen –, kam sie auf die Idee, daß ich diese Leute beraten sollte, wie sie in Frankreich und in ihrem Herkunftsland Steuern sparen können, wenn sie sich hier niederlassen. Mit dieser Materie kenne ich mich zufällig sehr gut aus. Das Ergebnis ist, daß ich eine internationale Fünf-Sterne-Klientel von komischen Käuzen habe. Ich nenne mich conseil fiscal , Steuerberater, und das mit vollem Recht.
    Henry, sagte ich, du klingst ganz glücklich, und du siehst auch glücklich aus. Bist du es? Ist dies das Leben, das du dir gewünscht hast?
    Er lächelte mich freundlich an. Ich bin sehr glücklich, antwortete er. Zu zwei Dritteln wegen Mireille, zu einem Drittel wegen Sam, und dazu, als Dividende, habe ich all dies. Er machte eine Geste, die das Haus, seine Olivenbäume, die Hügel am Horizont, vielleicht die ganze Weltumschloß. Schön ist es hier, findest du nicht? Und zum erstenmal bin ich ganz und gar ich selbst. Leblanc ist so wenig mein Name wie White, aber alle hier wissen, daß ich nicht als Leblanc geboren wurde, und keinen kümmert es. Obwohl mein Französisch mindestens so gut ist wie mein Englisch, merken die Leute, daß ich ein Fremder bin. Das ist mein Kennzeichen. Man muß nichts weiter erklären, niemanden betrügen. Ich habe mich hier gut betragen und werde mit großer Diskretion und Nachsicht behandelt. Wenn ich keine Lust habe, zu essen, was Madame Susanne zu Mittag kochen möchte, nehme ich mein Rad und fahre zum Café ins Dorf. Ich spiele sogar mit den Einheimischen
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