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Egorepublik Deutschland: Wie uns die Totengräber Europas in den Abgrund reißen (German Edition)

Egorepublik Deutschland: Wie uns die Totengräber Europas in den Abgrund reißen (German Edition)

Titel: Egorepublik Deutschland: Wie uns die Totengräber Europas in den Abgrund reißen (German Edition)
Autoren: Edzard Reuter
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diejenigen, die mit den französischen Traditionen weniger vertraut waren, mochte es da auf den ersten Blick durchaus überraschen, dass er zwar – nach einem Studium an der Sorbonne – erste berufliche Erfahrungen bei der als konservativ bekannten französischen Staatsbank gesammelt, dann aber eine nahtlose Karriere sowohl in der Staatsverwaltung als auch in der Sozialistischen Partei durchlaufen hatte. Anfang der 80er Jahre hatte sie ihn schließlich zu höchsten Ehren geführt: Präsident François Mitterrand ernannte ihn zum Wirtschafts- und Finanzminister. In der allgemeinen Öffentlichkeit gab es wenig Zweifel, dass er demnächst dem Ministerpräsidenten Pierre Mauroy nachfolgen werde. Dies geschah zwar nicht, sondern aufgrund einer Absprache zwischen Mitterrand und Kohl wurde Delors zum Präsidenten der Europäischen Kommission berufen. Die Öffentlichkeit erwartete von ihm kaum etwas anderes als einen Kurs strikter – und folglich langweiliger – finanzieller Sparsamkeit. Dadurch hatte sich bereits seine Amtszeit in Paris ausgezeichnet. Aber man irrte sich sowohl hinsichtlich der Persönlichkeit des neuen Präsidenten als auch hinsichtlich seiner politischen Begabung.
    Gewiss ließ Delors von Anfang an keine Zweifel an seiner Absicht, sich die finanzielle Seriosität der europäischen Institutionen aufs Panier zu schreiben. Doch sehr bald zeigte sich, dass hier jemand entschlossen war, energisch frischen Wind in das europäische Projekt zu bringen. Der Rückenwind war nach dem Ende der durch Helmut Schmidt und Giscard d’Estaing geprägten Ära unter dem Einfluss nationaler Einzelinteressen spürbar abgeflaut. Abgesehen von der mühseligen Arbeit am Abbau der vielfältigen Zollschranken und sonstigen Einfuhrbeschränkungen, die den wirtschaftlichen Austausch behinderten, konnte von einem einheitlichen Wirtschafts- oder gar Währungsraum der Europäischen Gemeinschaft bei bestem Willen kaum die Rede sein. Eher im Gegenteil war es längst zur Übung geworden, dass die Regierungen der meisten Mitgliedsländer in regelmäßigen Abständen versuchten, die internationale Wettbewerbsfähigkeit ihrer Wirtschaft durch eine Abwertung ihrer Währungen zu stärken (und damit zugleich ihre Zahlungs- und Leistungsbilanzen zu stützen). Sollte die Vision eines vereinten Europa nicht Schiffbruch erleiden, war es höchste Zeit für einen grundlegend neuen Anstoß.
    Dafür hat Jacques Delors gesorgt. Auf einem dramatisch verlaufenen Treffen überzeugte er 1987 die zehn Mitgliedsländer vom Abschluss einer »Einheitlichen Europäischen Akte«. Es war der Beginn der bisher folgenreichsten Weiterentwicklung der Römischen Verträge. Festgeschrieben wurde nicht nur das Ziel eines einheitlichen Marktes, sondern auf den Weg gebracht wurde eine Bereinigung des komplizierten Gefüges innerhalb der europäischen Institutionen und ihrer Befugnisse. Vor allem aber ging es um die Vereinbarung erster Schritte hin zu einer sich vertiefenden politischen Union. Und genau in dieser Richtung brachte Delors fortan das Projekt Schritt um Schritt weiter voran – 1992 gekrönt durch den Vertrag von Maastricht und die Vereinbarung einer Währungsunion.
    Das geschah keineswegs immer mit ausnahmslos freudiger Unterstützung durch die politisch verantwortlichen Führungsspitzen aller Mitgliedsländer. So erscheint es auch im Rückblick mehr als fraglich, ob Mitterrand wirklich den Grundgedanken einer umfassenden wirtschaftlichen Union – ganz zu schweigen von den grundlegenden politischen Bereichen wie der Verteidigungs- oder Außenpolitik – vorbehaltlos teilte. Delors hat seine Umsetzung trotzdem seit seinem Amtsantritt mit aller Entschlossenheit vorangetrieben. Neben den erwähnten Maßnahmen zählte nicht zuletzt die Einleitung einer längst überfälligen Reform der wie Kraut aus dem Boden geschossenen europäischen Agrarförderung dazu, aber ebenso auch die Aufnahme von Spanien und Portugal in die Europäische Gemeinschaft sowie der Abschluss des Vertrags von Schengen (mit dem Abbau der Einreisekontrollen im Binnenbereich der Gemeinschaft).
    *
    Wie dünn während der zehnjährigen Amtszeit von Jacques Delors die Decke war, unter der sich seine Überzeugung von der Notwendigkeit grundlegender Fortschritte im Prozess der europäischen Vereinigung verbarg, habe ich selbst während meiner Tätigkeit für das (damalige) Haus Daimler-Benz hautnah erlebt. Es ging darum, die deutsche und die französische Luft- und Raumfahrtindustrie (in der
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