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Egeland, Tom

Titel: Egeland, Tom
Autoren: Frevel
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sich durch die Schlange der Autos.
    Nach einigen Minuten entdecke ich Ian und Llyleworth unten auf dem Parkplatz.
    Ian hat einen schwungvollen, federnden Gang. Die Schwerkraft scheint auf ihn nicht so zu wirken wie auf uns andere.
    Llyleworth schiebt sich vorwärts wie ein Supertanker.
    Keiner von beiden hat etwas in den Händen.
    Etwas später kommt Professor Arntzen. Er trägt den Mantel über dem linken Arm. In der rechten Hand hält er einen Regenschirm. Auch er hat den Schrein nicht bei sich.
    Auf der letzten Stufe der Treppe bleibt er stehen und blickt in den Himmel. Wie er es immer tut. Der Alltag des Professors besteht aus einer Aneinanderreihung von Ritualen.
    Vor dem Mercedes bleibt er stehen und sucht nach seinen Autoschlüsseln. Ehe er sie findet, blickt er zu meinem Fenster hinauf. Ich bewege mich nicht. Die Spiegelungen auf dem Glas lassen mich unsichtbar werden.
    ∗ ∗ ∗
    N ach einer halben Stunde rufe ich ihn zu Hause an. Zum Glück geht der Professor und nicht Mama ans Telefon. Er muss neben dem Telefon gesessen und gewartet haben.
    » Sigurd? «, ruft er.
    » Hier ist Bjørn. «
    » Bjørn? Ach, du bist das. «
    » Ich muss mit dir reden. «
    » Rufst du aus Østfold an? «
    » Wir haben etwas gefunden! «
    Pause.
    Schließlich sagte er: » Ach ja? «
    » Einen Schrein … «
    » Wirklich? « Pause. » Was du nicht sagst. « Jedes Wort klingt wie in Teer getaucht. » … mit dem Professor Llyleworth abgehauen ist! «
    » Ab ge hauen? « Der Professor ist kein guter Schauspieler. Er klingt nicht einmal überrascht.
    » Ich dachte, dass er vielleicht mit dir Kontakt aufgenommen haben könnte. «
    Erneute Pause. » Mit mir? « Dann versucht er, das Gespräch an sich zu reißen. » Hast du sehen können, was für eine Art Schrein das war? «
    » Aus Holz. «
    » Alt? «
    » Vermutlich aus dem elften Jahrhundert. Oder älter. «
    Er holt tief Luft.
    » Ich konnte ihn nicht untersuchen «, fuhr ich fort. » Aber wir müssen protestieren. «
    » Protestieren? «
    » Verstehst du nicht, was ich sage? Er ist mit dem Schrein abgehauen! Das ist nicht mehr nur eine Sache zwischen uns und dem Reichsantiquar. Ich werde die Polizei einschalten müssen. «
    » Nein, nein, tu jetzt nichts Übereiltes, bleib ruhig. Ich habe alles unter Kontrolle. Vergiss, was geschehen ist! «
    » Hörst du denn nicht, die sind einfach mit dem Schrein abgehauen! Und die Feldarbeit war unter aller Sau. Ich werde einen Bericht schreiben müssen. Llyleworth hätte die Ausgrabung ebenso gut mit Baggern und Dynamit machen können. «
    » Hast du … schon etwas unternommen? «
    » Noch nicht. «
    » Gut. Überlass das mir. «
    » Was wirst du tun? «
    » Immer mit der Ruhe, Bjørn! Ich werde da schon Ordnung reinbringen. Mach dir keine Gedanken. «
    » Aber … «
    » Ich muss ein paar Telefonate führen. Entspann dich. Es wird schon werden. Ruf mich morgen wieder an. «
    Es ist vielleicht keine große Sache. Ein Schrein. Wenn der seit achthundert Jahren unter der Erde liegt, hat es für das Wohlergehen der Menschheit wenig Bedeutung, wenn er außer Landes geschafft wird. Es wäre dann so, als hätten wir ihn niemals gefunden.
    Möglicherweise hat Llyleworth große Pläne. Vielleicht hat er vor, ihn für eine Riesensumme an einen arabischen Scheich zu verkaufen. Oder ihn dem British Museum zu schenken, das dann wieder einmal auf Kosten anderer Kulturen einen akademischen Triumph einheimst.
    Mit wohlwollender Unterstützung von Professor Arntzen.
    Ich verstehe nichts. Ich habe eigentlich nichts damit zu tun. Aber ich bin wütend. Ich bin die Aufsichtsperson. Sie haben mich hinters Licht geführt. Mich, den sie engagiert haben, weil sie der Meinung sind, ich sei leicht zu täuschen. Bjørn, der kurzsichtige Albino.
    5
    HINTER DEM VERWUNSCHENEN Haus, in dem ich aufgewachsen bin, lag eine Brachfläche, die wir Pferdekoppel nannten. Im Winter bauten wir uns dort an den steilen Hängen Sprungschanzen. Wenn der Schnee im Frühling schmolz, machte ich mit dem Fahrrad auf dem schlammigen Weg Querfeldeinrennen, und im Sommer kletterte ich in die Bäume und saß unsichtbar wie ein Eichhörnchen auf einem Ast, um die Jugendlichen auszuspionieren, die im Schutz des hohen Grases Bier tranken, Hasch rauchten oder miteinander schliefen. Ich war elf Jahre alt und ein standhafter Spion.
    Am Nationalfeiertag, dem 17. Mai 1977, wurde ein junges Mädchen hinter dem Ebereschenwäldchen vergewaltigt und misshandelt. Es geschah am helllichten Tage. In der
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