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Egeland, Tom

Titel: Egeland, Tom
Autoren: Frevel
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der Professor, gefolgt von Ian, aus dem Zelt. Er hat den Schrein in ein Tuch gewickelt. In seinem Mundwinkel ragt die qualmende Zigarre schräg nach oben.
    » Bitte, geben Sie mir den Schrein! «, sage ich, um es gesagt zu haben. Aber sie hören mich nicht oder kümmern sich nicht um mich.
    Professor Llyleworths Privatwagen ist ein lang gestrecktes, glänzendes Rassetier. Ein burgunderfarbener Jaguar XJ 6. Zweihundert Pferdestärken. Von null auf hundert in neun Sekunden. Ledersitze. Holzlenkrad. Klimaanlage. Vielleicht mit einem Anflug von Seele und Selbstbewusstsein tief drinnen im Motorblock, hinter all dem Chrom und Metalliclack.
    Ian schiebt sich hinter das Lenkrad, beugt sich zur Seite un d ö ffnet dem Professor die Tür. Dieser steigt ein und stellt sich den Schrein auf den Schoß.
    Wir stehen da, lehnen uns auf unsere Spaten und Messleisten, starren entgeistert auf unsere dreckigen T-Shirts und Jeans, Sand in den Haaren und Schmutz unter den Augen. Aber sie sehen uns nicht. Wir haben unseren Beitrag geleistet. Es gibt uns nicht mehr.
    Der Jaguar rollt über den frisch angelegten Weg. Als er auf die Landstraße kommt, gibt er ein Fauchen von sich und verschwindet in einer Staubwolke.
    In der Stille, die sich über uns senkt und die nur von dem Wind in den Baumwipfeln und dem Raunen der Studenten gestört wird, werden mir zwei Dinge bewusst. Zum einen, dass ich hintergangen worden bin. Ich weiß nicht, wie oder warum. Aber die Gewissheit lässt mich die Zähne so hart zusammenbeißen, dass mir Tränen in die Augen steigen. Zum anderen, dass ich –der Gehorsame, der Pflichtbewusste, das unentbehrliche, unsichtbare Zahnrad, das die Maschinerie nie im Stich lässt –versagt habe. Dass ich die Aufgabe als Kontrolleur, die mir die norwegischen Behörden des Kulturgüterschutzes anvertraut hatten, nicht gemeistert habe.
    Aber Professor Llyleworth darf verdammt noch mal nicht einfach mit diesem Fund abhauen. Das ist nicht nur eine Sache zwischen ihm und der Altertumssammlung. Oder dem Reichsantiquar. Oder den Behörden. Das ist auch eine Sache zwischen dem Professor und mir.
    ∗ ∗ ∗
    I ch habe keinen Jaguar. Mein Auto erinnert eher an ein Badetier, das ein Kind aufgeblasen und am Strand vergessen hat. Es ist eine rosa Ente, zwei Pferdestärken. Im Sommer rolle ich das Dach ein. Ich nenne sie Bolla. Wir sind, soweit das für einen Menschen und eine Maschine möglich ist, auf einer Wellenlänge.
    Der Sitz knirscht, als ich mich hinter das Lenkrad meines Citro ë n setze. Ich muss die Tür etwas anheben, damit sie schließt. Der Schaltknüppel erinnert an einen Regenschirm, den irgendeine hysterische Tante voller Wut ins Armaturenbrett gestoßen hat. Ich schalte Bolla in den ersten Gang, gebe Gas und holpere hinter dem Professor her.
    Als Verfolger bieten wir eine lächerliche Vorstellung. Bolla braucht von null auf hundert eine ganze Generation. Aber früher oder später werde ich ankommen. Später. Ich habe keine Eile. Zuerst werde ich bei der Altertumssammlung vorbeifahren, um Professor Arntzen Bericht zu erstatten. Dann weiter zur Polizei. Und dann werde ich eigenhändig die Zollbeamten am Flughafen Gardermoen über die Geschehnisse informieren. Und im Fährhafen –ein Jaguar XJ6 verschwindet nicht einfach in der Menge.
    Einer der Gründe, weshalb ich im Sommer das Dach einrolle, ist, dass ich es liebe, den Wind in meinen Stoppelhaaren zu spüren. Dann träume ich von einem Leben in einem Cabriolet unter der sorglosen Sonne Kaliforniens; von einem Leben als braun gebranntem Beachboy, umgeben von Bikinimädchen, Coca-Cola und Popmusik.
    In der Schule hatte ich den Spitznamen Eisbär. Vielleicht wegen meines Namens: Bjørn, was so viel wie Bär heißt. Aber vermutlich eher deshalb, weil ich Albino bin.
    4
    ALS MICH PROFESSOR Trygve Arntzen im Mai fragte, ob ich es auf mich nehmen wolle, bei den Ausgrabungen im Sommer beim Kloster Værne als Aufsichtsperson teilzunehmen, erachtete ich das Angebot zu zehn Prozent als Herausforderun g u nd zu neunzig Prozent als willkommene Gelegenheit, ein bisschen aus dem Büro herauszukommen. Man muss nicht psychotisch sein, um sich vorstellen zu können, dass sich die vier Wände, der Boden und die Decke im Laufe der Nacht ein paar weitere Zentimeter näherten.
    Professor Arntzen ist Mamas Mann. Nur ungern nehme ich das Wort Stiefvater in den Mund.
    All die Jahrgänge von Studenten haben den Professor blind für die Einzigartigkeit jedes Einzelnen werden lassen. Seine
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