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Egeland, Tom

Titel: Egeland, Tom
Autoren: Frevel
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balancieren, Champagner gläser und Zigarren festzuhalten sowie die Seidenbrüstchen der scheuen Kensington-Dämchen zu liebkosen –beginnt er, die Erde rings um den Schrein wegzukratzen.
    In seinem Lehrbuch Methods of Modern Archaeology hat Professor Llyleworth geschrieben, die gründliche Registrierung jedes Fundes sei der Schlüssel zu seiner richtigen Deutung und Bestimmung. » Geduld und Gründlichkeit sind die wichtigsten Tugenden eines Archäologen «, hält er in der Bibel der Archäologen Virtues of Archaeology fest. Er sollte wissen, dass er viel zu hektisch vorgeht. Wir haben keine Eile. Wenn etwas seit hunderten oder tausenden von Jahren in der Erde liegt, sollten wir uns ruhig ein paar Stunden Zeit nehmen, um exakt und vorsichtig zu sein. Wir sollten den Schrein aus allen Richtungen im Plan und auf den Profilkarten einzeichnen. Ihn fotografieren. Der Fund muss in Länge, Tiefe und Breite vermessen werden. Erst wenn alle nur erdenklichen Details aufgenommen und registriert sind, dürfen wir ihn mühsam mit Spatel und Löffel freilegen. Dreck und Sand wegpinseln. Das Holz konservieren. Gibt es Metallteile, müssen diese mit Sesquicarbonat behandelt werden. All das weiß der Professor.
    Trotzdem scheint es ihm egal zu sein.
    Ich springe zu ihm nach unten. Die anderen starren auf uns herab, als hätte der Professor soeben kundgetan, er wolle sich jetzt durch den Erdmantel graben. Mit bloßen Händen.
    Noch vor dem Mittag.
    Ich räuspere mich feierlich, übertrieben deutlich, und sage ihm, dass er zu hastig vorgeht. Er überhört mich. Er hat einen Schutzwall zwischen sich und der Welt errichtet. Auch als ich ihm mit Autorität in der Stimme im Namen der norwegischen Behörden befehle aufzuhören, fährt er mit seinem frenetischen Wühlen fort. Für ihn hätte ich ebenso gut den Zauberer von Oz repräsentieren können.
    Als er den Großteil des Schreins ausgegraben hat, packt er ihn mit beiden Händen und reißt ihn aus dem Erdreich. Ein Teil des Holzes fällt ab.
    Einige von uns schreien auf. Wütend, verblüfft. So etwas geht doch nicht!, rufe ich. Jeder archäologische Fund muss mit der größtmöglichen Vorsicht behandelt werden.
    Die Worte prallen ab.
    Er hält den Schrein vor sich. Starrt ihn keuchend an.
    » Sollen wir «, sage ich eiskalt und mit vor der Brust verschränkten Armen, » den Fund vielleicht registrieren? «
    Seine königliche Hoheit starrt den Schrein bewundernd an. Er lächelt ungläubig. Dann sagt er in seinem steifsten Oxford -E nglisch wie zu sich selbst: » This. Is. Fucking. Unbelievable! «
    » Würden Sie mir freundlicherweise den Schrein geben? «
    Er blickt mich leer an.
    Ich räuspere mich. » Professor Llyleworth! Sie verstehen sicher, dass ich gezwungen bin, dieses Geschehnis dem Institut zu melden! « Meine Stimme hat einen kalten formellen Klang, den ich selbst nicht richtig wiedererkenne. » Der Reichsantiquar und die Altertumssammlung werden über die Art Ihres Vorgehens nicht gerade begeistert sein. «
    Ohne ein Wort klettert er aus dem Schacht und hastet zum Zelt. Eine Wolke aus Sand weht seinem Anzug hinterher. Wir anderen haben aufgehört zu existieren.
    Ich gebe nicht so leicht auf. Ich folge ihm.
    Aus dem Inneren des Zeltes, hinter der aufgespannten Stoffplane, höre ich Professor Llyleworths exaltierte Stimme. Ich schiebe die Plane zur Seite. Die Dunkelheit und der Sonnenfilter meiner Brille machen mich blind, bis ich den breiten Rücken des Professors ausmachen kann. Er ist noch imme r a ußer Atem. » Ja! Ja! Ja! «, schreit er ins Handy. » Michael, hör mir doch zu! Das ist der Schrein! «
    Mehr als alles andere verblüfft mich, dass er sich eine Zigarre angezündet hat. Er weiß genau, dass Tabakqualm die C-14-Datierung stören kann.
    Seine Stimme quillt über von hysterischem Lachen: » Der gute alte Charles hatte Recht, Michael! Das ist nicht zu glauben! Das ist verdammt noch mal nicht zu glauben! «
    Auf dem Campingtischchen neben ihm steht der Schrein. Ich trete einen Schritt näher. Im gleichen Moment materialisiert sich Ian im Dunkel vor mir wie ein böser Geist, der die Grabkammer das Pharaos bewacht. Er packt mich an den Oberarmen und schiebt mich mit aller Kraft rückwärts aus dem Zelt.
    » Mein Gott «, stottere ich. Meine Stimme zittert vor Wut und Entrüstung.
    Ian blickt mich an und geht zurück ins Zelt. Wenn er eine Tür hätte zuknallen können, hätte er das getan. Aber die Zeltplane fällt schlaff hinter ihm nach unten.
    Kurz darauf kommt
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