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Egeland, Tom

Titel: Egeland, Tom
Autoren: Frevel
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unangezündete Zigarre. Er sieht unerträglich klug aus, voll grauhaariger, pompöser Würde, die er nicht im Geringsten verdient hat. Vermutlich träumt er von einem der Mädchen, die ihren halbentblößten Po in den Himmel strecken. Manchmal sieht er zu uns herüber, und seine Augen scheinen dann zu sagen: Früher habe ich auch einmal so wie ihr in der Sonne gehockt und geschwitzt, aber das ist lange her.
    Ich schiele durch dicke, getönte Brillengläser. Sein Blick streift den meinen und bleibt ein, zwei Sekunden hängen. Dann gähnt er. Ein Windhauch bläht das aufgespannte Laken. Es ist viele Jahre her, dass er sich von jemandem mit Dreck unter den Fingernägeln hat herausfordern lassen.
    » Mr. Belto? « , sagt er übertrieben freundlich. Bislang habe ich noch keinen Ausländer getroffen, der meinen Namen richtig ausspricht. Er winkt mich zu sich. Wie die Sklaventreiber im letzten Jahrhundert ihre Negerjungen zu sich beordert haben. Ich klettere aus dem metertiefen Schacht heraus und wische mir den Dreck von der Jeans.
    Der Professor räuspert sich. » Nichts? «
    Ich breite die Hände aus und baue mich in einer spöttischen Habt-Acht-Stellung vor ihm auf, die er aber leider nicht zu bemerken scheint.
    » Nichts! «, krächze ich auf Englisch.
    Mit fast unverhohlener Verachtung sieht er mich an und fragt: » Alles in Ordnung? Sie sehen blass aus heute! « Dann lacht er. Und wartet auf eine Reaktion. Ich denke nicht eine Sekunde daran, sie ihm zu geben.
    Viele erachten Professor Llyleworth als boshaft und machtsüchtig. Er ist nichts von beidem. Die herablassende Art entspricht seiner Natur. Das Weltbild des Professors und seine Meinung über die winzigen menschlichen Kreaturen, die an seinem Hosenbein herumfingern, wurde früh im Leben gebildet und wie in Beton gegossen. Wenn er lächelt, geschieht dies mit einer distanzierten und überlegenen Gleichgültigkeit. Wenn er zuhört, tut er dies aus aufgezwungener Höflichkeit (die ihm seine Mutter mit dem Rohrstock eingebläut haben muss). Wenn er etwas sagt, bekommt man leicht den Eindruck, er sei das Sprachrohr unseres Herrn.
    Llyleworth schnippt einen Samen weg, den der Wind an seinen maßgeschneiderten grauen Anzug geheftet hat. Er legt die Zigarre auf den Feldtisch. Mit einem wasserfesten Stift markiert er jeden Schacht, der gegraben und ausgehoben worden ist. Ausdruckslos nimmt er die Kappe vom Stift und zeichnet ein Kreuz in das Feld 003/157 auf dem Plan, der auf dem Tisch unter dem aufgespannten Tuch liegt. Dann winkt er mich mit einer müden Handbewegung weg.
    Auf der Universität haben wir gelernt, dass jeder von uns bis zu einem Kubikmeter Erde pro Tag bewegen kann. Der Abraumhaufen neben dem Schüttelsieb zeigt, dass es ein guter Vormittag war. Ina, die Studentin, die die Erde, die wir ihr auf Tabletts und mit Schubkarren liefern, noch einmal genauestens durchkämmt, hat nur ein paar Webgewichte und einen Kamm gefunden, die die Ausgrabungsteams übersehen haben. In einer engen kurzen Hose, einem weißen T-Shirt und viel zu großen Gummistiefeln steht sie in einer Schlammpfütze. In der Hand hält sie einen grünen Gartenschlauch mit einem undichten Sprühkopf.
    Sie ist verflucht süß. Ich sehe zum zweihundertzwölften Mal an diesem Vormittag zu ihr hinüber, doch sie blickt nie in meine Richtung.
    Die Muskeln schmerzen. Ich sacke auf dem Klappstuhl zusammen, der zum Schutz vor der Augustsonne im Schatten einer Hecke steht. Dies ist meine Ecke, mein Zufluchtsort. Von hier aus habe ich einen Überblick über die Ausgrabungsstätte. Ich liebe es, den Überblick zu haben. Hat man den Überblick, hat man auch die Kontrolle.
    Jeden Abend unterzeichne ich nach dem Sortieren und Katalogisieren die Liste der Fundstücke. Llyleworth findet mich übertrieben misstrauisch, weil ich darauf bestehe, dass die Artefakte in den Pappkartons mit seiner Liste übereinstimmen. Bis jetzt habe ich ihn nicht bei einer einzigen Ungenauigkeit ertappt. Aber ich traue ihm nicht. Ich bin hier, um zu kontrollieren. Das wissen wir beide.
    Der Professor dreht sich wie zufällig um, um zu überprüfen, wo ich geblieben bin. Ich werfe ihm einen munteren Pfadfindergruß zu: zwei Finger an der Stirn. Er erwidert den Gruß nicht.
    Im Schatten geht es mir am besten. Ein Defekt in meiner Iris bewirkt, dass grelles Licht im hinteren Teil meines Kopfes wie eine Wolke aus Splittern explodiert. Für mich ist die Sonne eine Scheibe des konzentrierten Schmerzes. Deshalb blinzle ich oft. Einmal
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