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Echtzeit

Titel: Echtzeit
Autoren: Gabriel Barylli
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Wochenende. Da habe ich ohnehin nichts zu tun. Da bin ich ohnehin alleine. Und wenn kein Mann da ist, der mir bei so etwas hilft, dann kann ich es auch alleine machen. Und es kommt billiger, als wenn ich jemanden mieten müsste. So wie meinen Analytiker. Kleiner Scherz.
    Aprikosen! Was hältst du davon, wenn ich die Wohnung in einem sonnigen Aprikosenton streichen würde? Und das Schlafzimmer in einem warmen Dunkelrot. Ochsenblut. So nennt man die Farbe. Ochsenblut. Das kommt daher, weil man früher in Rom die Hauswände tatsächlich mit Ochsenblut angemalt hat. Daher diese warme, glühende Farbe. Bei Sonnenuntergang. Und ich denke mir, dass das in meinem Schlafzimmer doch auch sehr schön wäre. Bei Sonnenuntergang. Und wenn ein Mann da ist. Ochsenblutrotes Schlafzimmer bei Sonnenuntergang. Das wäre doch was?! Ich glaube, Männer würden sich in so einem Schlafzimmer wohler fühlen als in einem lindgrünen Schlafzimmer. Glaubst du nicht? …
    Das hätte dann auch etwas von einem Bordell. Irgendwo in Marseille. In einer stillen Nebenstraße. Im Stadtzentrum. Ich glaube, das könnte für die erotischen Phantasien der Männer sehr anregend sein. Mein ochsenblutrotes Schlafzimmer. Dann glauben sie, sie sind bei einer Kokotte in Marseille und trauen sich endlich mal so zu sein, wie sie wirklich sind. Dann lerne ich sie kennen, wie sie wirklich sind. Und nicht so, wie sie glauben, dass sie sein sollen. So wie sie gelesen haben, dass wir Frauen sie angeblich haben wollen. In irgendwelchen Frauenmagazinen. Die liegen ja immer beim Zahnarzt herum und dann lesen das die Männer und glauben den ganzen Schwachsinn. Schwachsinn ist all das, den sich irgendwelche allein lebenden Journalistinnen ausgedacht haben.
    Und diesen Schwachsinn schreiben sie dann und allein lebende Frauen wie ich lesen das dann und glauben, sie könnten ihre Männer umerziehen. Wenn sie überhaupt einmal in die Nähe eines Mannes kommen. Die allein lebenden Frauen.
    Diese Frauen glauben dann, man muss den Männern klarmachen, dass sie zuhören sollen und sanft sein sollen und eigentlich der bessere größere Bruder sein sollen. Schwachsinn! Ein Mann will ein Weib im Bett, die seine Hure ist. Basta. Das ist die Wahrheit.
    Und danach kann es sein, dass er auch nett zu ihr ist und sie umarmt beim Einschlafen. Das ist die Wahrheit und die wird sich niemals ändern. Durch keinen Aufruf und keine Artikel und keine Hochglanzzeitschriften lässt sich das jemals ändern. Ein Weib ist ein Weib. Und ein Kerl ist ein Kerl. Basta. Und jeder Kerl träumt davon, ins Bordell zu gehen. In ein Bordell mit ochsenblutroten Zimmerwänden. So wie in Marseille. In einer stillen Nebenstraße. Ich weiß, wovon ich rede. Also sage ich dir, dass ich soeben den Entschluss gefasst habe, meine Wohnung umzustreichen. Am nächsten Wochenende. Wenn du dann kommst, wird sie glühen wie die Häuser in der Altstadt von Rom. Beim Sonnenuntergang. Du wirst es lieben. Du wirst gar nicht mehr wegwollen. Du wirst mit mir in meinen Korbstühlen sitzen und Marmorkuchen essen und wir werden reden. Über das Leben und die Männer und unsere Sehnsucht. Ja. Das werden wir tun. Du? Jetzt beginnt es langsam hell zu werden vor meinem Fenster. Ich mache eine kurze Pause und bin gleich wieder bei dir.

    Isabell? Ach! Ich dachte, du hättest vielleicht schon geantwortet in der Zwischenzeit. Du schläfst wahrscheinlich noch. Es ist aber schon sieben Uhr!
    Na gut. Wahrscheinlich wirst du jetzt dann bald geweckt werden. Von den Geräuschen aus dem Badezimmer. Wenn Stefan unter der Dusche steht. Macht er dir immer noch Kaffee am Morgen und bringt ihn dir ans Bett? Oder ist das nur ein Sonntagsritual? Also selbst wenn es nur am Sonntag geschehen sollte, muss ich dir sagen, dass du beneidenswert bist. Kaffee ans Bett. Und das ohne Muttertag! Wem widerfährt schon so eine VIP-Behandlung? Ich kann es dir sagen! Meiner Freundin Isabell widerfährt so etwas, weil sie es verdient. Nach all den langen Jahren in der Einöde. Weißt du noch, wie wir Mao Tse-tung belächelt haben – Mao und seinen »langen Marsch«. Mao wusste wenigstens, dass es irgendwo dort vorne ein Ziel gibt.
    Aber wir?! Zwei Frauen auf der Suche nach dem Ausweg aus der endlosen Einöde?! Wir hatten nichts als die Hoffnung, dass die Endlosigkeit doch irgendwann einmal ein Ende hat. Und mitten in unserem einsamen Marsch durch die Wüstenei des singulären Frauseins passiert dir dein Stefan! Was für ein Ausweg!
    Ich bin dir auch gar nicht mehr
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