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Echtzeit

Titel: Echtzeit
Autoren: Gabriel Barylli
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leben wir?
    Faszinierend! Früher musste ich einen Brief schreiben und tagelang warten, ob er auch bei dir ankommt. Heute rede ich einfach drauflos. Und weiß trotzdem nicht, ob es bei dir ankommt. Im Herzen …
    Das war ein kleiner Scherz. Du merkst, ich bin recht guter Laune heute. Heute früh meine ich. Das kommt wahrscheinlich daher, weil ich mich so konzentriere. Auf dich. So. Möchtest du auch einen Kaffee? Ja?! Ich mache mir jetzt einen Kaffee und bin gleich wieder bei dir.

    So, jetzt habe ich mir einen Kaffee gemacht. Einen Nescafé. Der ist auch sehr gut. Für mich alleine reicht er. Den anderen hebe ich für uns auf. Für dich. Wenn du kommst. Um mich zu besuchen … Na?! Habe ich dich jetzt ein wenig verführen können? Das wäre schön. Wir müssen aber nicht bei mir in meiner grünen Oase bleiben und Kaffee trinken. Nein, wenn du möchtest, können wir auch gerne in die Stadt gehen. In dein Lieblingscafé. Beim Rathaus. Das mit den alten Sofas und den geschwungenen Holzstühlen. Dort können wir dann wieder sitzen und reden. So wie damals. Erinnerst du dich noch an den Tag? Neun Jahre ist das jetzt her. Genau neun. Das ist eine ganz besondere Zahl. In der Kabbala. Die Neun. Ich beschäftige mich seit einiger Zeit mit der Kabbala.
    Mit der mystischen Bedeutung der Zahlen. Mit ihrer Wirkung auf unser Leben.
    Ich versuche auf diese Weise das Leben ein wenig zu begreifen. Dieses unbegreifbare Ding. Das Leben. Und – es hilft wirklich! An manchen Tagen. Manchmal hilft es mir zu wissen, dass ein Tag die Zahl drei hat. Und drei ist die Liebe. Dann mache ich die Augen ganz weit auf. Um sie nicht zu übersehen. Falls sie irgendwo herumsteht. An einer Straßenlaterne zum Beispiel … Du verstehst mich schon. Nicht wahr? Ja, und in diesem Monat sind es genau neun Jahre. Vor neun Jahren habe ich dich in dem Café am Rathaus zum ersten Mal gesehen. Alleine. Auf einem Sofa. Ob der Tag die Zahl drei hatte? Das weiß ich leider nicht mehr. Ich weiß nur, es war ein Mittwoch. Und Mittwoch ist ein Merkurtag. Merkur ist hilfreich für Kommunikation. Das weiß ich, seit ich mich mit Astrologie beschäftige. Um dieses Leben ein wenig besser zu begreifen …
    Ja, an einem Mittwoch habe ich dich da sitzen gesehen. Du hast gelesen. Ein Buch über Ägypten. Das fand ich toll. Weil ich mich schon damals für Ägypten interessiert habe. Und seine Götter. Die alten Götter. Isis und Osiris …
    Dann habe ich dich einfach angesprochen und dich gefragt, wieso du dich für Ägypten interessierst. Und schon waren wir im Gespräch. So einfach war das damals. Du hast Marmorkuchen bestellt, mit ganz viel Schokoladenglasur. Und ich einen Käsekuchen mit Rosinen. Wir haben geredet und angefangen, uns kennen zu lernen. So einfach war das damals. Vor neun Jahren …
    Damals hat uns ja auch niemand gestört. Keine Männer, meine ich. Früher oder später beginnen sie zu stören, findest du nicht?!
    So lange wünscht man sich, dass einer auftaucht und an einer Straßenlaterne lehnt und herüber lächelt … und wenn sie dann da sind … ich meine im Leben … dann fangen sie an zu stören. Nicht wahr? Früher oder später.
    Entschuldige, du siehst das im Augenblick natürlich ein wenig anders. Seit du mit deinem Stefan von hier weggezogen bist. Um in einer anderen Stadt glücklich zu sein. Das verstehe ich schon. Aber bei mir, weißt du, bei mir hat sich dieser Gedanke eingestellt. Im Lauf der Jahre. Warum das so ist, weiß ich noch immer nicht ganz genau, aber ich versuche es herauszufinden. Warum die Liebe plötzlich zu stören beginnt. Eines Tages. Obwohl man sich so sehr nach ihr gesehnt hat. Na ja …
    Vielleicht entdecke ich eines Tages eine Geheimzahl, die mir dieses Rätsel erklärt … und bis dahin suche ich. Ich suche einfach weiter. Ich habe schon viel gesucht in den letzten Jahren. Unglaublich viel. Ich könnte dir Geschichten erzählen. Die glaubst du nicht. Aber dir geht es so gut mit deinem Stefan. Raucht er immer noch Zigarre? Ich finde, einem Mann wie ihm steht es gut, eine Zigarre zu rauchen. Eine von den mittellangen, mitteldicken. Eine Corona! So heißt dieses Zigarrenformat, das er so gerne raucht. Es steht ihm wirklich gut. Es gibt ihm so etwas Verwegenes … und Wildes. Ein wenig sieht er damit aus wie ein mexikanischer Bandit. Findest du nicht? Das Problem ist nur das Küssen. Danach. Das Küssen nach der Zigarre ist ein großes Problem. Finde ich. Weil der Tabakgeschmack so bitter und scharf und stechend ist. Auf
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