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Echtzeit

Echtzeit

Titel: Echtzeit
Autoren: Sarah Reitz
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Gitarre war bereits gestimmt. »Ich bin immer noch böse auf euch, dass ihr einfach in mein Zimmer gegangen seid«, murmelte sie.
    »Warte!« Er wühlte in seiner Jackentasche. »Hier. Vielleicht macht es das wieder wett.«
    »Ein Prenzlberg-Aufkleber.« Sie lachte. »Ich wusste gar nicht, dass es die noch gibt.«
    Er löste die Klebefolie von dem Papier und reichte ihr den Sticker. Sie klebte ihn auf seinen vorgesehenen Platz, direkt unter das Schallloch.
    »Und jetzt spiel mir was vor«, forderte er sie auf.
    Noch einmal schlug sie die Saiten an, wollte sogar selbst den vollen Klang ihres Instrumentes genießen, doch der Schmerz machte ihr einen Strich durch die Rechnung. Er hatte seinen Ursprung ganz tief in ihrem Herzen. Es war mehr als einfacher Liebeskummer. Es fühlte sich an, als hätte man ihr Arme und Beine amputiert. Sie war machtlos gegen diese Hölle, die sie von innen heraus zu verschlucken drohte wie ein schwarzes Loch.
    »Ich kann nicht!«, schniefte sie und wollte das Instrument wegpacken.
    Sanft legte er seine Hände auf ihren Arm. »Nicht, Nina, warte bitte.«
    Ihr Finger fingen an zu zittern und Tränen traten ihr in die Augen. »Tom, lass es bitte. Das verstehst du nicht.«
    »Vielleicht versuchst du's mal mit der vollen Wahrheit.«
    Sie hielt inne und sah ihn an. Langsam schüttelte sie den Kopf. »Bitte, Tom.« Ihre Stimme war nicht mehr als ein verzweifeltes Flüstern. »Tu mir das nicht an.«
    Er holte tief Luft. »Nina, bitte. Erzähl es mir. Lass es raus.«
    Ihr Augen schlossen sich und die erste Träne rann über ihre Wange. Sie wollte weglaufen, wollte ihre Gitarre auf den Boden schmettern. Sie musste weg von Tom. Von all dem hier. Der Schmerz nahm ihr den Atem und die Tränen die Sicht. Sie wollte etwas sagen, doch es gelang ihr nicht, die Worte zu artikulieren. Sie blieben ihr in der Kehle stecken und verstärkten den Schmerz noch.
    »Ich muss hier weg, Tom«, schluchzte sie schließlich.
    »Nein, nein. Sieh mich an, Nina.« Er fasste mit beiden Händen ihr Gesicht und war bemüht, ihre Wangen zu trocknen. »Es ist wichtig, dass du dich endlich davon loslöst. Ich weiß von dem Baby.« Er griff erneut in seine Tasche und zog das Bild hervor.
    Ihre Lippen zitterten und sie spürte die salzigen Tränen auf ihrer Zunge. Es war ihr Baby. Doch sie war sich nie sicher gewesen, ob sie es wollte oder nicht. Damals, als sie allein gewesen war – ohne Tom – hatte sie ständig den Gedanken an eine Abtreibung durchgespielt. Immer wieder hatte sie etwas davon abgehalten. Oft hatte sie während dieser Zeit das Telefon in der Hand gehalten, hatte Tom anrufen und ihm alles erzählen wollen. Aber ihre Furcht war zu groß gewesen. Sie hatte Angst gehabt, dass er sie nicht mehr wollte. Befürchtet, er könnte nur wegen dem Baby zurückkehren. Und nicht zuletzt hatte sie die Panik ergriffen, nicht gut genug zu sein als Mutter. Noch bevor sie genug Mut gesammelt hatte, um eine Entscheidung zu treffen, war sie hinter der Bühne zusammengebrochen. Als sie im Krankenhaus aufgewacht war, hatte man ihr nur gesagt, dass sie ihr Baby verloren hatte. Sie schämte sich dafür, im ersten Moment einfach nur Erleichterung empfunden zu haben.
    »Nina, ich weiß von der Fehlgeburt und deiner Blockade. Es ist wichtig, dass du … dass wir darüber reden.«
    Sie schüttelte noch immer den Kopf. »Ich kann nicht.«
    »Nina, du musst. Für uns beide, verstehst du. Es tut mir unendlich leid, dass du in dieser Situation allein gewesen bist. Aber du musst mit mir darüber sprechen und du musst wieder singen, Nina, bitte. Mir und ihm zuliebe.« Tom deutete auf den kleinen weißen Fleck. »Das Baby hätte bestimmt nicht gewollt, dass seine Mutter sich seinetwegen aufgibt.«
    Seine dunklen Augen ließen sie ganz tief in sein Innerstes sehen. Sie glaubte, ihm so nahe zu sein wie nie zuvor. Da war plötzlich mehr als die Liebe zwischen zwei Menschen, mehr als die Lust, mehr als die Freude für den anderen. Es schien wie ein Naturgesetz, das sie zusammengehörten wie Licht und Schatten. Sein Blick gab ihr die Sicherheit, die sie brauchte.
    Zaghaft schlug sie die Saiten an. Die Finger ihrer linken Hand legten sich wie in Trance auf das Griffbrett und drückten die Saiten hinunter. Sie zupfte die Melodie und jeder einzelne Ton, der erklang, berührte sie in ihrem Herzen. Dann begann sie endlich zu singen.
     
    »Es brennt in meinen Augen,
    zu sehen, wie glücklich andere sind.
    Die Feuerspur zeichnet sich auf meinen Wangen,
    bin
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